Freitag, 30. Juni 2023

Pausentag in Valmiera. 2/2

Letzte Nacht zum ersten Mal seit Langem volle 8h durchgeschlafen. Herrlich. Danach nochmal ans Kartenstudium gesetzt und endgültig eine Entscheidung getroffen. Ich hatte ursprünglich vor, in ein paar Tagen eine kleine Runde Flußpaddeln als Abwechslung einzubauen. Man hätte schick in Burtnieki ein Kanu mieten können, dann 4 oder 5 Tage sie Salaca hinunter fahren können, um an der Flußmündung in der Ostsee das Kanu wieder abzugeben. Eigentlich eine sehr schicke Idee.

So halb hatte ich mich schon vor über einer Woche dagegen entschieden, jetzt endgültig. Das Wetter in der kommenden Woche wird relativ wechselhaft werden, da möchte ich nicht an ein Boot gefesselt sein. Und ich frage mich ernsthaft, ob überhaupt genug Wasser im Fluß sein mag, der sonst auch schon eher seicht ist. Durch die extreme Trockenheit der letzten Wochen ist das sicher nicht besser geworden. merke vor allem, daß ich mich mit dem Laufen eingegrooved habe. Jaja, ich weiß: Merkt man nicht bei all dem Rumgemaule. Aber eigentlich fühle ich mich sehr wohl im Wald, wo ich jederzeit Pause machen kann, wo ich mich immer wieder für neue Richtungen entscheiden kann. Und vielleicht sind auch die Begegnungen mit den Kajaktouristen auf der Gauja vor einer Woche daran schuld, Boombox und Partystimmung passen gerade nicht zu meiner Vorstellung einer entspannten Zeit.

Also werde ich mich auf direktem Weg auf nach Estland machen, Montag sollte ich die Grenze erreichen.

Aber erstmal muß ich noch entscheiden, ob ich morgen früh den Bus um 06:00 nach Burtnieki nehmen soll, oder den um 11:30. Ich weiß die Antwort glaube ich schon...

Donnerstag, 29. Juni 2023

Pausentag in Valmiera. 1/2

Nach dem Aufstehen erstmal Einkaufen. Der Himmel sieht schon mal düster aus. Ich brauche nur 10min im Laden, aber als ich wieder rauskomme, gießt es schon in Strömen. Natürlich. Aber ok, dann laufe ich die 4min zurück zum Apartment eben im Regen, trocknet ja alles wieder.

Ich setze mich wieder auf den Balkon und gucke den Regen zu, höre zischend die Autos durch die Pfützen fahren und lege mich - ach, was soll's - einfach nochmal ins Bett.

Nachmittags pilgere ich zur Pizzabude 600m weiter, wobei Bude etwas irreführend ist. Irgendjemand hat die Garage und den halben Garten eines Wohnhauses in eine Pizzafabrik umgebaut. Draußen kühle Regenluft, vielleicht 18 Grad. Ich öffne die Terrassentür, um meine Pizza zu bestellen, mir schlägt eine meterhohe Wand aus warmer Ofenluft entgegen, gute 35 Grad. Ich bestelle sehr zügig und warte lieber draußen.

Dabei muß ich über ein Deko-Element lachen, das hier an der Ecke steht. Eine Tonne mit Wegweisern. Spanien links, Estland rechts. So isses richtig. Von Spanien bin ich hierher gekommen, nach Estland will ich. Zufrieden nehme ich meine Pizza entgegen und zuckele nach Hause.

Mittwoch, 28. Juni 2023

Tag 32: Schön weichgekocht auf der Landstraße.

Mittwoch, 21.06.2023
Morgens 13°, Nachmittags 31°; sonnig mit Quell- und Gewitterwolken
7h mit Pausen, 5h reine Laufzeit
24km
Valmiera nach Burtnieki

Der gestrige Abend war ein bißchen wie ein schlechter Fiebertraum... Ich habe mich vor dem Einschlafen nochmal gezwungen, mir die Rote für die nächsten Tage anzuschauen und je länger ich darüber gebrütet habe, umso komplizierter und später wurde der Abend.

Problem Nr. 1: Für morgen sind hier ordentliche Gewitter angesagt, es soll den ganzen Tag regnen. Und dann Abends das Zelt aufbauen, herrlich. Problem Nr. 2: Freitag auf Samstag drehen die Letten durch, Mittsommernacht, Johannisfest, niemand schläft bis zum Sonnenaufgang, alle betrunken. Habe ich Lust, mir an einem solchen Abend einen Campingplatz zu teilen? Problem Nr. 3: Durch das Wochenende sind auch alle Übernachtungsmöglichkeiten bis zum ersten größeren Ort in Estland ausgebucht. Das ist besonders doof, weil hier über viele viele Kilometer kein ordentlicher Platz zum Zelten kommt, kein See, kein Fluß. Nur Leere. Alles unbefriedigend.

Ich löse das Problem, indem ich mir selber einen Wunsch erfüllt. Zwei Tage sehr spontane Pause in Valmiera. Und wenn ich dann Samstag wieder loslaufe, sind die gerade genannten Probleme durch und erledigt. Und ich tue mir selber damit auch den Gefallen, daß ich nochmal ausspannen kann. Ich merke in den letzten Tagen schon wieder, wie meine Kräfte nachlassen.

Also ist wieder ein bißchen Logstik im Spiel: Ich wandere heute nach Burtnieki (wo es keine gute Übernachtungsmöglichkeit gibt), fahre mit dem Bus zurück nach Valmiera, übernachte 2 Tage hier, und fahre am Samstag wieder mit dem Bus nach Burtnieki, knüpfe an meine Strecke an und weiter geht’s.

Leider kann ich mein Apartment von letzter Nacht nicht verlängern, also muß der komplette Rucksack mit. Noch schöner wäre es natürlich gewesen, wenn ich ein bißchen von dem Krempel hier in Valmiera hätte lassen können. Bin ja heute Abend wieder zurück. Aber ich habe es jetzt über einen Monat geschafft, den Kram mitzuschleppen. Also wird heute auch noch gehen.


Mit vollem Gepäck auf den Rücken raus aus der Stadt. Das Letzte, was ich von Valmiera sehe, ist der Knast. Mit angeschlossenem Sägewerk. Also den Dimensionen nach eigentlich genau andersherum: Ein riesiges Sägewerk mit angeschlossenem Knast. Aber ich kann nicht weiter drüber nachdenken, denn da vorne endet der Asphalt und beginnt der Schotter und ich sehe schon die erste bedrohliche Staubwolke in Gestalt eines Holz-Trucks auf mich zukommen.

Der Rest der Etappe ist schnell erzählt, weil tragisch langweilig. Wieder ein Straßentag. Ein ganzer Tag auf einer Schotterstraße, meistens in der Sonne, alle Stunde mal ein Auto. Zwischendurch der Mittagsbus, einmal nach Burtnieki, einmal nach Valmiera. Die einzigen Unterbrechungen sind ein paar Pausen, für die ich mich in den Schatten verziehe. Der Nachmittag wird brütend heiß, ich freue mich auf dem glühenden Asphalt über jedes Stück Schatten und jedes Fitzelchen Wind. Teilweise bleibt mir der Asphalt unter den Stiefeln kleben, bis ich gelernt habe, auf welche Stellen ich problemlos drauftreten kann und auf welche nicht.

Kurz vor Burtnieki treffe ich zwei junge Männer am Straßenrand, die sich mit ihren Autos hier zufällig getroffen haben. Sie sind sofort neugierig, was ich hier mit dem Rucksack mache. Wir wechseln ins Englische und erkläre meine Reise, ich sehe das Fernweh in den Augen der Herren. Und bekomme sofort eine kurze Übersicht serviert, welche Möglichkeiten ihr Dorf Burtnieki so bietet. Du könntest Schwimmen gehen. Oder die Aussicht vom Aussichtsturm genießen. Den alten Schloßpark, sehr zu empfehlen. Da vorne das Gasthaus, lecker Essen. Und der Laden. Du kannst auch ein Boot mieten.

Mich beruhigt das total, deckt sich alles mit meinen Recherchen, aber alles was ich heute nach diesem Tag noch will, ist ein Bus, der mich wieder nach Valmiera bringt. Ich fühle mich nach den Stunden auf der Landstraße ein bißchen wie auf einem Dönerspieß, fein geröstet.


Im Laden wie immer Getränke und Eis, ich setze mich in den Schloßpark und genieße, gucke dabei Teiche, Enten und Spazierpublikum. In einer guten halben Stunde geht mein Bus zurück, die halbstündige Fahrt in der gut klimatisierten Marschrutka kostet schlappe 1,65 EUR. In Valmiera beziehe ich das nächste Apartment, nutze ausgiebig das erschreckend große Bad und sitze bei Sonnenuntergang in der Unterhose mit einem Bier auf dem Balkon, genieße die kühlere Abendluft und freue mich auf zwei freie Tage. Samstag fahre ich wieder nach Burtnieki, dann geht’s von dort weiter.

Dienstag, 27. Juni 2023

Tag 31: Valmiera, so gerade nicht die Stadt meiner Träume.

Dienstag, 20.06.2023
Morgens 15°, Nachmittags 30°; durchgehend sonnig
5h mit Pausen, 3,25h reine Laufzeit
17km
Zelten am Sietiņiezis-Felsen nach Valmiera

Die Nacht blieb trocken, ich habe geschlafen wie ein Stein. Und gönne mir einen richtig schönen faulen Vormittag. Frühstück mit kaltem Quellwasser aus meiner eigenen Quelle, es perlt ganz vorzüglich an der Flasche, wie in der Werbung.

Gegen 10:15 starte ich bei 23 Grad in den Tag, es wird richtig warm werden heute. Auf dem Waldparkplatz 200m weiter steht ein französisches Wohnmobil – vielleicht hatte ich letze Nacht doch Nachbarn. Dahinter beginnt wieder die gleiche angenehme Mischung aus Wald und Feld, die ich gestern schon genossen habe. Es ist ein bißchen so, als wollte mich Lettland langsam wieder von den aufregenden Flußlandschaften der letzten Tage entwöhnen und mich daran erinnern, daß spätestens hinter Valmiera wieder die große Leere auf mich wartet.

In der prallen Sonne läuft es sich richtig brütend. Gegen 11:30 steht das Thermometer schon bei 27 Grad, ich hätte da gerne weniger. Meistens habe ich heute keine Wahl zwischen Wald und Schatten (kühl, aber immer mit einem Schwarm von Mücken / Bremsen / Fliegen) oder Feld und Sonne (brütende Hitze, dafür aber keine fliegenden Plagegeister). Am Ende bin ich mit dem Wechsel zwischen beidem auch ganz zufrieden.

Ich komme immer wieder an einzelnen Höfen vorbei, alte Häuser unter noch älteren Bäumen, Bienenstöcke drum herum, in den letzten Jahrzehnten zugewachsene Felder, in der Sonne glühende Sandwege und an den Wegkreuzungen uralte Eichen. Der weiß-gelb-weiße Wanderweg ist bis Valmiera fröhlich als Radweg ausgeschildert, aber mit dem Fahrrad will hier wahrscheinlich niemand langfahren. Selbst als Mountainbiker wirst du hier immer wieder das Fahrrad schultern müssen.

Kurz bevor Valmiera beginnt, liegt ein laut dröhnendes Sägewerk auf einer riesigen Waldlichtung in der Sonne. Alle Arbeiter, die ich von der Straße aus sehen kann, haben wegen der Hitze schon längst ihre T-Shirts ausgezogen. Die Werkshallen werden von großen Ventilatoren belüftet, die ich sonst eigentlich eher von Kuhställen her kenne. Egal, ich will nicht lange drüber nachdenken, ich will weiter. In den Schatten, noch besser in den Schatten eines kleinen Ladens mit einem Getränkeregal. Meine Flaschen sind nämlich schon lange leer getrunken.


Und Valmiera zieht sich. Ewig. Die Rasenflächen sind durch die Trockenheit der letzten Wochen zu gelben Wüsten geworden. Landstraße überqueren, Krankenhaus, Gewerbegebiet, erste sozialistische Wohnsiedlung, Gewerbegebiet, Friedhof, uuuuuff!, die Ladentür. Getränke, zwei Eis, zwei Šaltibarščiai, noch zwei Schritte bis zum Apartment und endlich raus aus der Sonne.

Aus dem Küchenfenster sehe ich den zentralen Kreisverkehr der Stadt, dahinter ein verglastes Einkaufszentrum. Seufzend ziehe ich den Vorhang zu. Heute nicht mehr.

Montag, 26. Juni 2023

Tag 30: Baden nach dem Regen.

Montag, 19.06.2023
Morgens 14°, Nachmittags 28°; durchgehend sonnig
8,5h mit Pausen, 5h reine Laufzeit
20km

Cēsis nach Zelten am Sietiņiezis-Felsen

Den Rückweg aus Riga zurück nach Cēsis hab ich mir echt teuer erkauft. Der Nachteil dieses logistischen Ausfallschrittes ist: Wecker um 04:30, Abmarsch um 06:00, damit ich den ersten Zug um 06:46 nach Cēsis bekomme. In meinem ganzen Zug sitzen vielleicht 10 Leute, als wir abfahren.

Wir zuckeln wieder dieselbe Strecke zurück, die ich gestern mit dem Bus nach Riga gefahren bin. Kurz vor Cēsis kann ich aus dem Fenster das Ferienhaus sehen, in dem ich im Winter 2022 Urlaub gemacht habe, also kann ich mich selbstzufrieden wieder hinsetzen. Vom Bahnhof aus ziehe ich los in Richtung Norden. Ursprünglich wollte ich westlich von Cēsis am Fluß entlangwandern, aber mir kommt nicht ganz in den Sinn, warum ich jetzt einen stundenlangen Umweg fast einmal rund um die Stadt machen sollte. Straße ist Straße. 

So kriege ich wenigstens die schlechten Nachrichten rechtzeitig mit. Die Brücke über die Gauja ist gesperrt. Als ich das Schild sehe, rutscht mir erstmal das Herz in die Hose. Ich muß da rüber, die ganzen nächsten zwei Wandertage sind auf der anderen Seite der Gauja geplant. Die nächste Brücke flußabwärts ist ca. 15km entfernt, so daß ich einen ganzen Wandertag bräuchte, nur um drüben auf der anderen Seite anzukommen. Ich zoome nochmal sehr stark in Karte und Google Maps hinein und entscheide mich dann, trotzdem die letzten 4,5km bis zur Brücke weiterzulaufen. Vielleicht gibt es doch irgendeine Möglichkeit. Auf alten Fotos auf Google Maps kann ich sehen, daß es außer der Straßenbrücke auch noch eine Hängebrücke für Fußgänger gibt. Aber ich weiß natürlich nicht, ob die am Ende auch gesperrt oder abgerissen ist, weil sie z.B bei den Bauarbeiten im Weg ist. Aber vielleicht kann ich notfalls die Bauarbeiter mit meinem hervorragenden Lettisch davon überzeugen, mich durchzulassen. Sagen wir es mal so: Wenn ich da heute nicht rüberkomme, ist der Tag sowieso derart im Arsch, daß ich mich entweder nach einem Bus umgucken muß oder ich bleibe heute Nacht nochmal in Cēsis und plane die ganzen nächsten Tage um.


Während ich auf die Brücke zulaufe, spitzt sich die Bau-Choreographie immer weiter zu. Baustellenfahrzeuge, noch mehr Schilder, Absperrbaken, dann der Blick auf die Baustelle mit großem Kran direkt auf der Brücke. Aber da, ganz klein unten rechts, sehe ich ein kleines blaues Fußgänger-Schild. Die Hängebrücke ist tatsächlich offen. Macht ja auch Sinn, die Bauarbeiter müssen ja schließlich auf irgendwie über den Fluß kommen. Ich unterdrücke also einen inneren Jubelschrei mit Beckerfaust und laufe statt dessen ganz cool über die Hängebrücke, als würde ich das jeden Tag machen.

Zur Belohnung gucke ich 100m weiter einem LKW-Fahrer dabei zu, wie er ungelenk etwas Bauschutt in den Straßengraben abkippen will, seinen LKW aber irgendwie doof hingestellt hat (weil quer zur Straße). Als er die Kippmulde ausgeleert hat, fällt ihm auf, daß er plötzlich gar keinen Platz mehr hat, um hier wieder weg zu kommen. Hinter ihm der Schutthaufen, vor ihm der Straßengraben. Ich schaue ihm ein bißchen dabei zu, wie er sich verzweifelt die Rücklichter und den Unterfahrschutz kaputtfährt, um da überhaupt wieder raus zu kommen. Dann gehe ich freundlich winkend an dem LKW vorbei, biege grinsend in den Wald ab und mache auf einem wunderschönen Picknickplatz erstmal eine Sieges-Frühstückspause.


Ich treffe wieder auf den weiß-gelb-weißen Wanderweg und kann entspannt durch Wälder und Felder weiterwandern. Der restliche Tag ist wenig aufregend, ein entspanntes Bummeln ohne Zeitdruck. Allerdings anstrengend, die Luft ist heiß und drückend. Ich höre mehrmals über den Tag die ersten Vorboten von Gewittern, aber es bleibt vorerst trocken. Heute Abend will ich Zelten, habe mich aber noch nicht entschieden, wo. Die erste Option lasse ich rechts liegen, weil ich noch Lust habe weiterzugehen und entscheide mich für den Picknickplatz oberhalb der Sietiņiezis-Felsen.

Weiße Sandsteinfelsen säumen den Fluß, man kann auf Treppen und Stegen daran vorbeispazieren. Von Regen und Erosion ausgewaschen, von tausenden eingeritzten Namen entstellt, sind diese Felsen dennoch einzigartig in Lettland. In einigen von ihnen leben Bienen in winzigen Höhlen. Sie bilden eine gemeinsame Kolonie, bevölkern und bearbeiten aber statt einzelnen Waben tausende kleine bienengroße Löcher im Standstein.

Es gibt einen großzügigen Picknickplatz mit Tischen, einem schick gezimmerten Plumpsklo und einem kleinen Lean.To aus Holz für die Gemütlichkeit. Eine Treppe führt hinunter zum Fluß, zu einem kleinen Sandstrand und gleich daneben zu einer Quelle, wo eiskaltes Wasser direkt aus dem Sandsteinfelsen in die Gauja fließt.

Ich baue mein Zelt auf, sortiere meinen Kram, begrüße immer wieder freundlich die vereinzelten Spaziergehenden, die hier am frühen Abend auftauchen. Gegen 21:00 beginnt es etwas überraschend zu regnen, ich verziehe mich ins Zelt und höre sehr glücklich eine gute halbe Stunde dem Regen zu, wie er auf mein Zelt prasselt. Die Luft danach ist wunderbar kühl und seidig. Ich steige runter zum Fluß und gehe Baden. Das Wasser ist überraschend warm und richtig angenehm, ich kann auf dem Boden die Wanderspuren der Flußmuscheln im Schlick sehen. Etwas Nebel hängt über dem träge dahinfließenden Fluß, es ist total still hier, kein Mensch in der Nähe und ich schwimme glücklich in diesem großartigen Pool mit der atemberaubenden Aussicht auf die Felsen. Gehört heute alles mir.

Ich schäle mich wieder aus dem Wasser und gehe rüber zu der Stelle, an der das Quellwasser in die Gauja fließt. Als ich mit den nackten Füßen in dem kleinen Bach stehe, merke ich erst richtig, WIE KALT die Quelle ist, und muß unter Uh!Ah!Oh! wieder ins freundlich warme Wasser der Gauja huschen, um meinen Kreislauf zu beruhigen.

Noch ein paar Minuten sitze ich auf einem Baumstamm und schaue auf diesen Fluß und das Waldpanorama darumherum. Und kann nur den Kopf darüber schütteln, wie schön dieser Abend ist.

Sonntag, 25. Juni 2023

Pausentag in - huch! - Riga?

Zu warm, zu schwül, zu unlustig. Heute habe ich spontan so überhaupt keine Lust auf Laufen. Ich sehe Regen in der Wettervorhersage und während ich mich am frühen Morgen im Bett wälze, kommt mir eine schräge Idee. Ich könnte... heute einfach einen kleinen Abstecher nach Riga machen. Und so mache ich es auch. Der Bus geht alle Stunde vom Bahnhof, die Fahrt dauert nicht mal 2h und kostet schlappe 4,35 EUR. 

Das Wetter in Riga ist auch nicht viel besser, die vielen Menschen und die vielen hohen Gebäude sind wie ein mittelschwerer Kulturschock für mich, aber ich hatte ja Lust auf Abwechslung. Ich werfe mein Gepäck in einem Apartment ab, greife mir den Regenschirm und gehe durch die Altstadt spazieren.

Und weil ich heute so richtig frei haben will, gibt es idealerweise kein einziges Foto davon. Ich hatte keine Lust, Tourist zu sein.

Morgen geht's weiter...

Samstag, 24. Juni 2023

Tag 29: Kleine Bummelei nach Cēsis.

Samstag, 17.06.2023
Morgens 16°, Nachmittags 28°; drückend und warm

5h mit Pausen, 3h reine Laufzeit
14km

Kārļi nach Cēsis

Frühstück wieder im Garten. Zu Pfannkuchen und Rhabarbermarmelade gibt es – Fischhäppchen. Ich verzichte dankend, nehme mir lieber noch ein Glas selbstgemachten Apfelsaft und mache mich auf dem Weg. Der Vormittag ist warm und diesig. Als ich gegen 10.00 Uhr loslaufe, hat es schon 22 Grad.


Nachdem ich mich die letzten Tage immer selbst reingelegt hatte, indem die Etappen am Ende deutlich länger waren als morgens gedacht, habe ich heute nun wirklich nur ein kleines Stück vor mir. Bis Cēsis sind es ungefähr 12km, vielleicht etwas mehr. Aber auf jeden Fall ein kleiner Tag zum Entspannen.

Die erste Stunde wie immer auf der Schotterstraße, dann darf ich auf immer kleiner werdende Waldwege abbiegen, die sich runter in Richtung Fluß schlängeln. Ich biege auf einen staubigen Sandweg ein, wo mich ein Schild darüber informiert, daß hier ab dem 17. Jahrhundert ein Gasthaus stand; dieser Sandweg war eine der wichtigstem Verkehrsadern zwischen Sankt Petersburg und Riga. Später wurde er von russischen Zaren, Katharina der Großen und - ? - Baron Münchhausen befahren. Ich schaue mich nochmal um, kann mir das von der Karte und vom Gelände her gut vorstellen, aber -- hier? Denn gleich 100m weiter beginnt der Parkplatz des Kamel-Zoos. Plötzlich Tourismus. Der Parkplatz ist gut gefüllt und ich höre Kindergekreische. Kamele. In Lettland...


Gleich neben dem stinkenden Dixie-Klo auf dem Parkplatz finde ich einen kleinen Trampelpfad in den Wald, ignoriere ein paar Schilder mit dem Hinweis „Privatgelände“, aber ich kann ja kein Lettisch. Dafür kann ich jetzt einen schönen verwunschenen Pfad unten am Fluß entlang laufen, der sich zwischen den Bäumen und Hügeln hindurch windet.

Heute ist der erste Tag, an dem mir klar wird, was der große Kanu-Tourismus auf der Gauja eigentlich bedeutet. Kein Wunder, heute ist Samstag und richtig schönes Wetter. Alle paar Minuten paddeln Boote flußabwärts vorüber, manche ruhig und entspannt, manche mit wummernder Boombox, so daß du das Partyvolk von 20min vorher durch den ansonsten stillen Wald hören kannst. Die wenigen sandigen Strände am Fluß sind gefüllt mit pausierenden Wassertouristen und ich kann mich nicht des Gedankens erwehren, daß das so gar nicht meine Art von Urlaub wäre...


Der verwunschene Trampelpfad wird mit der Zeit immer verwunschener und ich wünsche mir fast die breiten Wege der letzten Tage zurück. In einer kleinen Schlucht ist die Holzbrücke zusammengestürzt, also muß ich ein paar steile sandige Hänge hinunter- und wieder hinaufkraxeln, was mit dem fetten Rucksack leichter gesagt als getan ist. Immerhin bin ich weit und breit der einzige Spaziergänger auf der Landseite, das ist auch schonmal was wert.

An der nächsten Zeltwiese schlafe ich erstmal eine halbe Stunde im Gras ein und verlasse dann den Trampelpfad, nehme Kurs auf Cēsis. Ich hätte vielleicht auch noch eine Stunde weiter am Fluß entlang laufen können, aber Bauchentscheidungen sind immer wegweisend.


Cēsis selbst besticht durch erstaunlich leere Straßen, als wären alle Bewohner in den Urlaub gefahren (Oder auf dem Fluß. Oder beschäftigt mit Kanus vermieten.). Gegenüber des örtlichen Gefängnisses picknicken einige Tunichtgute aus den Kofferräumen ihrer Autos und ich kann mir das Schmunzeln nicht verkneifen, ob das vielleicht ein samstägliches Solidaritätspicknick mit ihren inhaftierten Kumpels sein soll? Ich werde es nie erfahren, mein Russisch sitzt einfach noch nicht so richtig und die Herren sehen so aus, als stünden sie unter dringendem Tatverdacht.

Am Supermarkt neben der Altstadt sehe ich einige Reiseradler, ich ziehe mit einem Eis in der Hand weiter auf den Marktplatz, staune über schöne alte Häuser und ein gehöriges Maß an Tourismus. Als ich vor 1,5 Jahren im Winter hier war, kam mir diese Stadt vollkommen unwirtlich und abweisend vor. Vielleicht, weil ich als alter Autofahrer nie einen Fuß in die Altstadt gesetzt habe. Und vielleicht weil es kuschelige -12 Grad und einen Meter Schnee hatte.

Meine Unterkunft liegt einen Steinwurf von der Burg entfernt, ich komme am mittleren Nachmittag an und falle erstmal entspannt auf die Couch. Kurze Tage können auch echt schön sein...