Montag,
19.06.2023
Morgens 14°, Nachmittags 28°; durchgehend sonnig
8,5h
mit Pausen, 5h reine Laufzeit
20km
Cēsis
nach Zelten am Sietiņiezis-Felsen
Den Rückweg
aus Riga zurück nach Cēsis hab
ich mir echt teuer erkauft. Der Nachteil dieses logistischen
Ausfallschrittes ist: Wecker um 04:30, Abmarsch um 06:00, damit ich
den ersten Zug um 06:46 nach Cēsis bekomme. In meinem ganzen Zug
sitzen vielleicht 10 Leute, als wir abfahren.
Wir
zuckeln wieder dieselbe Strecke zurück, die ich gestern mit dem Bus nach Riga gefahren bin. Kurz vor Cēsis kann ich aus dem Fenster das
Ferienhaus sehen, in dem ich im Winter 2022 Urlaub gemacht habe, also
kann ich mich selbstzufrieden wieder hinsetzen. Vom Bahnhof aus ziehe
ich los in Richtung Norden. Ursprünglich wollte ich westlich von
Cēsis am Fluß entlangwandern, aber mir kommt nicht ganz in den
Sinn, warum ich jetzt einen stundenlangen Umweg fast einmal rund um
die Stadt machen sollte. Straße ist Straße.
So
kriege ich wenigstens die schlechten Nachrichten rechtzeitig mit. Die
Brücke über die Gauja ist gesperrt. Als ich das Schild sehe,
rutscht mir erstmal das Herz in die Hose. Ich muß da rüber, die
ganzen nächsten zwei Wandertage sind auf der anderen Seite der Gauja
geplant. Die nächste Brücke flußabwärts ist ca. 15km entfernt, so
daß ich einen ganzen Wandertag bräuchte, nur um drüben auf der anderen
Seite anzukommen. Ich zoome nochmal sehr stark in Karte und Google
Maps hinein und entscheide mich dann, trotzdem die letzten 4,5km bis zur
Brücke weiterzulaufen. Vielleicht gibt es doch irgendeine
Möglichkeit. Auf alten Fotos auf Google Maps kann ich sehen, daß es außer der
Straßenbrücke auch noch eine Hängebrücke für Fußgänger gibt. Aber ich weiß natürlich nicht, ob die am Ende auch gesperrt oder abgerissen ist, weil sie z.B
bei den Bauarbeiten im Weg ist. Aber vielleicht kann ich notfalls die
Bauarbeiter mit meinem hervorragenden Lettisch davon überzeugen,
mich durchzulassen. Sagen wir es mal so: Wenn ich da heute nicht
rüberkomme, ist der Tag sowieso derart im Arsch, daß ich mich
entweder nach einem Bus umgucken muß oder ich bleibe heute Nacht
nochmal in Cēsis und plane die ganzen nächsten Tage um.
Während
ich auf die Brücke zulaufe, spitzt sich die Bau-Choreographie immer
weiter zu. Baustellenfahrzeuge, noch mehr Schilder, Absperrbaken,
dann der Blick auf die Baustelle mit großem Kran direkt auf der
Brücke. Aber da, ganz klein unten rechts, sehe ich ein kleines
blaues Fußgänger-Schild. Die Hängebrücke ist tatsächlich offen.
Macht ja auch Sinn, die Bauarbeiter müssen ja schließlich auf
irgendwie über den Fluß kommen. Ich unterdrücke also einen inneren
Jubelschrei mit Beckerfaust und laufe statt dessen ganz cool über
die Hängebrücke, als würde ich das jeden Tag machen.
Zur
Belohnung gucke ich 100m weiter einem LKW-Fahrer dabei zu, wie er
ungelenk etwas Bauschutt in den Straßengraben abkippen will, seinen LKW
aber irgendwie doof hingestellt hat (weil quer zur Straße). Als er
die Kippmulde ausgeleert hat, fällt ihm auf, daß er plötzlich gar
keinen Platz mehr hat, um hier wieder weg zu kommen. Hinter ihm der Schutthaufen, vor ihm der Straßengraben. Ich schaue ihm ein bißchen
dabei zu, wie er sich verzweifelt die Rücklichter und den
Unterfahrschutz kaputtfährt, um da überhaupt wieder raus zu kommen. Dann gehe
ich freundlich winkend an dem LKW vorbei, biege grinsend in den Wald
ab und mache auf einem wunderschönen Picknickplatz erstmal eine
Sieges-Frühstückspause.
Ich
treffe wieder auf den weiß-gelb-weißen Wanderweg und kann entspannt
durch Wälder und Felder weiterwandern. Der restliche Tag ist wenig
aufregend, ein entspanntes Bummeln ohne Zeitdruck. Allerdings
anstrengend, die Luft ist heiß und drückend. Ich höre mehrmals
über den Tag die ersten Vorboten von Gewittern, aber es bleibt
vorerst trocken. Heute Abend will ich Zelten, habe mich aber noch
nicht entschieden, wo. Die erste Option lasse ich rechts liegen, weil ich noch Lust habe weiterzugehen und
entscheide mich für den Picknickplatz oberhalb der
Sietiņiezis-Felsen.
Weiße
Sandsteinfelsen säumen den Fluß, man kann auf Treppen und Stegen
daran vorbeispazieren. Von Regen und Erosion ausgewaschen, von
tausenden eingeritzten Namen entstellt, sind diese Felsen dennoch
einzigartig in Lettland. In einigen von ihnen leben Bienen in
winzigen Höhlen. Sie bilden eine gemeinsame Kolonie, bevölkern und
bearbeiten aber statt einzelnen Waben tausende kleine bienengroße
Löcher im Standstein.
Es
gibt einen großzügigen Picknickplatz mit Tischen, einem schick
gezimmerten Plumpsklo und einem kleinen Lean.To aus Holz für die Gemütlichkeit. Eine Treppe führt hinunter zum Fluß, zu einem kleinen Sandstrand und gleich daneben zu einer
Quelle, wo eiskaltes Wasser direkt aus dem Sandsteinfelsen in die
Gauja fließt.
Ich
baue mein Zelt auf, sortiere meinen Kram, begrüße immer wieder
freundlich die vereinzelten Spaziergehenden, die hier am frühen
Abend auftauchen. Gegen 21:00 beginnt es etwas überraschend zu
regnen, ich verziehe mich ins Zelt und höre sehr glücklich eine
gute halbe Stunde dem Regen zu, wie er auf mein Zelt prasselt. Die
Luft danach ist wunderbar kühl und seidig. Ich steige runter zum
Fluß und gehe Baden. Das Wasser ist überraschend warm und richtig angenehm, ich
kann auf dem Boden die Wanderspuren der Flußmuscheln im Schlick sehen. Etwas
Nebel hängt über dem träge dahinfließenden Fluß, es ist total
still hier, kein Mensch in der Nähe und ich schwimme glücklich in
diesem großartigen Pool mit der atemberaubenden Aussicht auf die
Felsen. Gehört heute alles mir.
Ich
schäle mich wieder aus dem Wasser und gehe rüber zu der Stelle, an
der das Quellwasser in die Gauja fließt. Als ich mit den nackten
Füßen in dem kleinen Bach stehe, merke ich erst richtig, WIE KALT die
Quelle ist, und muß unter Uh!Ah!Oh! wieder ins freundlich warme
Wasser der Gauja huschen, um meinen Kreislauf zu beruhigen.
Noch
ein paar Minuten sitze ich auf einem Baumstamm und schaue auf diesen
Fluß und das Waldpanorama darumherum. Und kann nur den Kopf darüber schütteln, wie schön dieser
Abend ist.
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