Sonntag, 16. Juli 2023

Tag 45: Neben der Autobahn.

Sonntag, 09.07.2023
Morgens 13°, Nac
hmittags 17°; bedeckt, Schauer
7,5h mit Pausen, 5h reine Laufzeit
25km

Ravila nach Vaida (Bushaltestelle)

Hatte ich gestern erwähnt, daß das Herrenhaus liebevoll chaotisch ist? Beim Frühstück bricht das Chaos dann endgültig aus. Scheinbar kommen alle Übernachtungsgäste gleichzeitig zum Frühstücken und alle zweieinhalb Tische sind schnell besetzt. Die Familie mit 4 Kindern kriegt dann halt eben mal das Frühstück auf's Zimmer. Mir ist das natürlich nach all den Tagen alleine im Wald alles viel zu voll und viel zu hektisch, also picke ich nur ein bißchen am hartgekochten Ei, esse ein paar Tomatenscheiben und zwei Scheiben Brot, dann will ich los.


Bis zum nächsten Ort Kose gibt es erstmal einen Radweg neben der Landstraße, dann eine schöne ruhige grüne Wohnstraße, im Laden neben der Bushaltestelle schnell ein Eis, dann … muß ich aber die Nase rümpfen. Ausfallstraße, Radweg, ohne Ende Strommasten, Gewerbegebiete. Die Infrastruktur schiebt sich ins Bild. Die letzten Wochen über war die einzige Infrastruktur weit und breit oft der Weg oder die Forststraße, auf der ich gerade entlang ging. Jetzt ist plötzlich die ganze Bühne des Horizontes voll damit. 


Ich habe gestern Abend und heute früh radikal die Planung für heute und morgen umgeworfen. Am Anfang stand der Entschluß, daß ich heute Abend keinen Bock auf Zelten haben werde. Das Wetter ist meh, die Wiesen sind naß. Und der einzig erreichbare RMK-Rastplatz ist - den Fotos im Netz nach zu urteilen - eine überwucherte Waldlichtung mit brusthohem Gras, einer verfallenen Hütte und sonst nüscht. Also werde ich statt dessen später am Nachmittag mal wieder eine dieser ätzenden Bus-Rochaden machen, um ein ordentliches Dach über dem Kopf zu haben.


Weil ich meine Pappenheimer hier im Baltikum inzwischen kenne, verzichte ich spontan darauf, den romantischen kleinen Trampelpfad durch die Flußaue zu nehmen. Wahrscheinlich hätte ich ihn nicht einmal gefunden. Parallel gibt es noch eine klassische Forststraße, aber bei der weiß ich wenigstens, daß ich am Ende auch ankommen werde. Ich schlage mich durch die üblichen Regenschauer und Fliegenschwärme, mache kurz an einem Hochsitz Pause, und stoße bald wieder auf die Autobahn, die ich gestern überquert hatte.

 
Hier beginnt der harte Teil: Viele Kilometer direkt neben der Autobahn auf einer kleinen Zugangsstraße. Viel Verkehr ist hier nicht, aber ich habe trotzdem immer die auf der Autobahn vorbeizischenden Autos im Blick und im Nacken. Natürlich naht noch ein Regenschauer, so schnell und heftig, daß ich den Regenschirm erst aufgespannt in der Hand habe, als es eigentlich schon zu spät ist. Die letzten 6 Kilometer sind dann endgültig doof, auf der Landstraße bis nach Vaida, immer schön hart gegen den Verkehr gesegelt.


Ich warte eine knappe Stunde auf den Bus, zahle zwei Euro irgendwas und schaukele mit dem Bus nach Tallinn hinein. Mir wird massiv schlecht, ich habe mir einen Sitz entgegen der Fahrtrichtung ausgesucht, der Fahrer fährt wie einer Berserker, und ich beschäftige mich wie ein Jugendlicher ständig mit dem Handy. Am Ende bin ich froh, als mich der Bus in Tallinn absetzt und ich nur noch eine kleine Etappe bis zu meinem Hotel habe.

Das Hotel ist etwas gespenstisch. Eine renovierte Ziegelsteinkaserne aus den vermutlich 1800er Jahren. Self-Check-In, Türcode, Zimmercode, kein Mensch hier, keine Rezeption. Als würde ich alleine in diesem Ding sein. Die tiefstehende Sonne sieht auf der Fassade des Hotels super gut aus, der Flur zu den Zimmern ist Bäm!, ich freue mich über eine Dusche und die Tatsache, daß ich mal wieder zwei Tage im selben Bett schlafen kann.

Nebenan im Gewerbegebiet springe ich nochmal schnell in den Supermarkt, so ungefähr der grösste Laden, den ich seit Riga gesehen habe. Leichter Kulturschock. Morgen setze ich mich wieder in den Bus und fahre zurück Vaida, damit alles seine Ornung hat. Aber, wie gesagt: Morgen.

1 Kommentar:

  1. Wollte nur mal Hallo sagen & toll, wie Du das machst! Liebe Grüße, d.

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