Sonntag,
09.07.2023
Morgens 13°, Nachmittags
17°; bedeckt, Schauer
7,5h mit Pausen, 5h reine
Laufzeit
25km
Ravila
nach Vaida (Bushaltestelle)
Hatte ich gestern
erwähnt, daß das Herrenhaus liebevoll chaotisch ist? Beim Frühstück
bricht das Chaos dann endgültig aus. Scheinbar kommen alle
Übernachtungsgäste gleichzeitig zum Frühstücken und alle
zweieinhalb Tische sind schnell besetzt. Die Familie mit 4 Kindern
kriegt dann halt eben mal das Frühstück auf's Zimmer. Mir ist
das natürlich nach all den Tagen alleine im Wald alles viel zu voll
und viel zu hektisch, also picke ich nur ein bißchen am hartgekochten Ei, esse ein paar Tomatenscheiben und zwei Scheiben Brot,
dann will ich los.
Bis zum nächsten Ort Kose
gibt es erstmal einen Radweg neben der Landstraße, dann eine schöne ruhige grüne
Wohnstraße, im Laden neben der Bushaltestelle schnell ein Eis, dann
… muß ich aber die Nase rümpfen. Ausfallstraße, Radweg, ohne
Ende Strommasten, Gewerbegebiete. Die Infrastruktur schiebt sich ins Bild. Die
letzten Wochen über war die einzige Infrastruktur weit und breit oft der
Weg oder die Forststraße, auf der ich gerade entlang ging. Jetzt ist
plötzlich die ganze Bühne des Horizontes voll damit.
Ich habe gestern
Abend und heute früh radikal die Planung für heute und morgen
umgeworfen. Am Anfang stand der Entschluß, daß ich heute Abend
keinen Bock auf Zelten haben werde. Das Wetter ist meh, die Wiesen
sind naß. Und der einzig erreichbare RMK-Rastplatz ist - den Fotos im
Netz nach zu urteilen - eine überwucherte Waldlichtung mit brusthohem
Gras, einer verfallenen Hütte und sonst nüscht. Also werde ich statt dessen später am Nachmittag mal
wieder eine dieser ätzenden Bus-Rochaden machen, um ein ordentliches Dach
über dem Kopf zu haben.
Weil ich meine
Pappenheimer hier im Baltikum inzwischen kenne, verzichte ich spontan
darauf, den romantischen kleinen Trampelpfad durch die Flußaue zu
nehmen. Wahrscheinlich hätte ich ihn nicht einmal gefunden. Parallel
gibt es noch eine klassische Forststraße, aber bei der weiß ich
wenigstens, daß ich am Ende auch ankommen werde. Ich schlage mich
durch die üblichen Regenschauer und Fliegenschwärme, mache kurz an
einem Hochsitz Pause, und stoße bald wieder auf die Autobahn, die
ich gestern überquert hatte.
Hier beginnt der
harte Teil: Viele Kilometer direkt neben der Autobahn auf einer
kleinen Zugangsstraße. Viel Verkehr ist hier nicht, aber ich habe
trotzdem immer die auf der Autobahn vorbeizischenden Autos im Blick
und im Nacken. Natürlich naht noch ein Regenschauer, so schnell und
heftig, daß ich den Regenschirm erst aufgespannt in der Hand habe,
als es eigentlich schon zu spät ist. Die letzten 6 Kilometer sind
dann endgültig doof, auf der Landstraße bis nach Vaida, immer schön
hart gegen den Verkehr gesegelt.
Ich warte eine
knappe Stunde auf den Bus, zahle zwei Euro irgendwas und schaukele
mit dem Bus nach Tallinn hinein. Mir wird massiv schlecht, ich habe
mir einen Sitz entgegen der Fahrtrichtung ausgesucht, der Fahrer
fährt wie einer Berserker, und ich beschäftige mich wie ein
Jugendlicher ständig mit dem Handy. Am Ende bin ich froh, als mich
der Bus in Tallinn absetzt und ich nur noch eine kleine Etappe bis zu
meinem Hotel habe.
Das Hotel ist
etwas gespenstisch. Eine renovierte Ziegelsteinkaserne aus den vermutlich 1800er
Jahren. Self-Check-In, Türcode, Zimmercode, kein Mensch hier, keine Rezeption.
Als würde ich alleine in diesem Ding sein. Die tiefstehende Sonne
sieht auf der Fassade des Hotels super gut aus, der Flur zu den
Zimmern ist Bäm!, ich freue mich über eine Dusche und die Tatsache,
daß ich mal wieder zwei Tage im selben Bett schlafen kann.
Nebenan im
Gewerbegebiet springe ich nochmal schnell in den Supermarkt, so
ungefähr der grösste Laden, den ich seit Riga gesehen habe.
Leichter Kulturschock. Morgen setze ich mich wieder in den Bus und
fahre zurück Vaida, damit alles seine Ornung hat. Aber, wie gesagt: Morgen.
Wollte nur mal Hallo sagen & toll, wie Du das machst! Liebe Grüße, d.
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