Montag,
10.07.2023
Morgens 11°, Nachmittags
19°; sonnig, einzelne Wolken
9h mit Pausen, 7h reine
Laufzeit
32km
Vaida
(Bushaltestelle) nach Tallinn-Tondi
Ok. Verdammt. Den Trek wieder zurück nach Vaida habe ich schwer unterschätzt. Taxi ins Zentrum von Tallinn, den richtigen Bus erwischen, mit vorbildlichem Estnisch ein Ticket kaufen. Alles kein Problem. Aber irgendwie wäre ich lieber etwas länger im Bett liegen geblieben. Der Tag wird lang werden... Immerhin habe ich einen Teil meines Gepäcks im Hotel gelassen, also ist der Rucksack merklich leichter. Ist das jetzt Premiumwandern?
Beim Blick auf die Karte heute früh deutete sich schon an, daß ich mir mit dem kurzfristigen Umwerfen der Route vielleicht nicht an allen Fronten einen Gefallen getan habe. Klar, ich konnte letzte Nacht in einem richtigen Bett schlafen. Bezahlen werde ich das heute damit, daß ich heute im Wesentlichen neben der Autonbahn oder auf der Landstraße laufen darf. Aber wer den Teppich gekauft hat, muß den Teppich auch mitnehmen.
In den nächsten Dörfern macht sich ganz klar schon die Nähe zu Hauptstadt und Autobahn bemerkbar. Austauschbare Speckgürtel-Häuser, der Rasen im Garten ordentlich gestutzt, Platz für mindestens zwei Autos in der Einfahrt. Irgendwo auf dem Feld schließe ich wieder an meinen ursprünglichen Weg an, danach wird’s besser. In Kiili schnell ein Eis aus dem Maxima, durch den Kulturtunnel unter der Autobahn durch.
Links sehe ich schon den IKEA. Ein international untrügliches Zeichen, daß wir in der Nähe des Stadtrandes sind. Ich stehe gefühlt auf der Grenze zwischen Stadt und Land. Links Getreidefeld und Wald, rechts Speditionen, Autobahn und Logistikflächen. Ich habe keine Wahl, weiter geht’s.
Ein letztes Mal lande ich in einer Sackgasse, der schöne kleine Weg auf der Karte endet am Hoftor eines Bauernhofes. Also zurück und einen furchtlosen Umweg über die Landstraße. Ironie des Schicksals: Wenigstens gibt es hier einen Fahrradweg und ich muß nicht auf dem Autobahnzubringer laufen. Trotzdem nutze ich die erstbeste Gelegenheit, um in den Wald abzubiegen und mich unter einer Hochspannungsleitung zur Mittagspause hinzuwerfen.
Der Wald am Stradtrand von Tallinn hat viele kleine Trampelpfade, kreuz und quer in alle Himmelsrichtungen. Ich kann das GPS-Gerät einfach in der Hosentasche lassen und mir einen Pfad nach Richtung auswählen. Wird schon klappen. Nebenbei trete ich beinahe auf eine Kreuzotter, die sich gerade auf dem Weg sonnt. Leicht erschrocken trennen wir uns beide wieder und sind wahrscheinlich beide froh, daß nix passiert ist.
Ich mache einen kleinen Schlenker nach Westen zur großen Ausfallstraße, da müsste am Stadtrand doch sicher ein schickes Schild stehen. Pflichtfoto, würde ich sagen. Und dann werfe ich meinen viel zu leichten Rucksack unter das Tallinn-Schild, mache ein paar Bilder und sitze grinsend neben dem brausenden Autobahnzubringer. Geil!
Die nächsten zwei Stunden taste ich mich langsam in die Stadt vor, immer entlang des riesigen eingezäunten Trinkwasser-Sees, der im Südosten von Tallinn liegt und die Stadt mit Wasser versorgt. Ich sehe Discgolfer, Jogger, allerlei Naherholende mit und ohne Equipment. Die ersten Hochhäuser spitzen hinter den Bäumen hervor und ich kann es nicht länger wegschieben. Hier riecht alles nach Stadt.
Als ich mich so weit wie möglich durch Wälder und Parks an die Stadt herangearbeitet habe, überquere ich eine gigantische von Hochhäusern umstellte Kreuzung ohne Fußgängerüberwege, finde eine kleine Brücke über die Bahnlinie und plötzlich stehe ich auf der Rückseite meines Hotels von gestern.
Ein seltsamer Tag. Lang, ätzend, und ohne echten Abschluß. Der eigentliche Höhepunkt kommt morgen, wenn ich durch die Innenstadt zur Ostsee laufe. Dann bin ich fertig. Heute bin ich irgendwie noch im Transit, wie der Großteil der Landschaft, die ich heute durchlaufen habe.
Ich esse ein
Fastfood-Abendessen, mache nochmal einen Schlenker durch den viel zu
großen Supermarkt und weiß: Morgen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen