Donnerstag,
06.07.2023
Morgens 8°, Nachmittags 20°; bewölkt, Schauer
10h
mit Pausen, 6h
reine Laufzeit
28km
Lokuta
Puhkekeskus (Gästehaus) nach RMK Loosalu lõkkekoht
Ein paar Kilometer weiter liegt der nächste RMK-Rastplatz im Wald (Tillniidu lõkkekoht), von der Kilometerzählung her müsste ich dort eigentlich die 1.000km voll machen. Ich setze mich erstmal entspannt zur Frühstückspause hin, kurz darauf parkt ein Auto neben mir und ich komme mit dem Fahrer ins Gespräch. Er warnt mich vor, daß das estnische Militär gerade in dieser Gegend trainiert und an einigen Stellen auf den Forstwegen Straßensperren errichtet hat. Ich solle mich also nicht wundern, wenn plötzlich Herren in Tarnklamotten und mit Gewehren aus dem Unterholz brechen...
Besser, ich kümmere mich mal schnell darum, den Regenschirm aus dem Rucksack herauszufummeln. Der nächste Schauer rückt an.
Frisch geduscht marschiere ich kurz vor dem nächsten Dorf Lelle auf die Kreuzung mit der großen Landstraße zu. Da steht breit und stabil ein Schild: Tallinn 75km. Das ist... nicht weit. Das sind... 3 Tage, wenn ich ein Auto wäre? Grinsend ziehe ich hinüber ins Dorf und suche nach dem winzigen Laden, der sich hier in Lelle auf 50 Quadratmeter irgendwo in der 2. Reihe im Dorf verstecken soll. Und trotzdem alles hat, was ich suche.
Ich dehne meine Mittagspause auf locker 1,5 Stunden aus un sitze ein wenig lustlos im Wartehäuschen herum. Im Juli, bei 16 Grad und Dauerregen. So richtig Block auf Weitergehen habe ich nicht, vielleicht kann ich wenigstens eine kleine Lücke im Regen abwarten. Und siehe da, irgendwann geht’s, ich schultere meinen Rucksack und ziehe weiter nach Nordwesten.
Ein paar Kilometer weiter stolpere ich über ein kleines Skigebiet. Hänge! Hügel! Gipfel! Auf dem riesigen Parkplatz leuchtet einsam ein Kaffeeautomat gegen die Tristesse des Nachmittags an. Hilft auch nicht viel. Ich prüfe nochmal den Sitz der Picknickbänke unten am Teich, und als ich mich davon überzeugt habe, daß man auch hier gut rasten kann, mache ich mich auf den Weg zum eigentlichen Highlight des Tages.
Als ich mich gerade wieder anziehe, kommt der Regen. Diesmal aber richtig. Ich verfolge erst noch die absurde Idee, mich vielleicht unter meinem Regenschirm zu verkriechen, aber das Einzige was hier hilft, ist: Schnell anziehen, Regenjacke, Regenschirm, und weiter.
Noch eine halbe Stunde durch das offene Moor. Der Wald sieht aus wie eine bedrohliche Burg, auf die ich über freies Feld zustürmen muß. Aber genauso schnell wie das Moor gekommen ist, drängen sich die ersten Bäume wieder zusammen, noch zehn Minuten durch den Wald, dann komme ich um die Ecke und treffe auf den nächsten RMK-Rastplatz. Und sehe: Rucksäcke. Ein Stückchen weiter im Wald haben sich drei Mädels unter Tarp und Mückennetz verkrümelt, ich grüße freundlich aber unverbindlich in ihre Richtung und komme erstmal an. Der Tag war richtig lang heute.
Ich kann gar nicht glauben, daß ich heute Nacht zum ersten Mal einen Zeltplatz teilen werde, aber igendwie macht es auch Sinn. Der nächste Platz ist nur 18km entfernt. Das ist für eine ordentliche Tagesetappe zu wenig, für „mal schnell noch Weiterlaufen“ aber zu viel. Und dazwischen hatte ich auf der Karte wirklich kaum eine Chance auf einen coolen Platz für ein Zelt gesehen.
Nachdem ich einen kurzen Snack eingeworfen habe, gehe ich kurz rüber und sage bei den Damen Hallo. Surprise, sie kommen aus Niedersachsen. Ich kläre kurz ab, wo ich mein Zelt aufbaue, dann lege ich auch schon los. Die Menge an Mücken und Fliegen an diesem Ort ist schier unbeschreiblich. Keine Ahnung, ob das damit zu tun hat, daß wir hier so nah am Moor sind, oder eher mit der Luftfeuchtigkeit und dem Regen. Vielleicht auch beides. Egal. Ich baue schnellstens das Zelt auf und verlege die restliche Häuslichkeit mal dringend nach drinnen.
Die Mädels singen 20 Meter mit glockenheller Stimme christliche Lieder, dazu schallt die Gitarre. Was für eine absurde Situation. Wochenlang keine Wanderer, und plötzlich: gleich 7 Stück an einem Tag. Und - wie mir siedendheiß wieder einfällt! - keine einzige Straßensperre des estnischen Militärs!
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