Sonntag, 9. Juli 2023

Tag 39: Regen. Regen und Regen.

Sonntag, 02.07.2023
Morgens 15°, Nachmittags 18°; bedeckt, anhaltender Regen
8h mit Pausen, 6h reine Laufzeit

32km
RMK Kõrtsi-Tõramaa lõkkekoht (Naturparkzentrum) nach Vanaõue Puhkekeskus (Gästehaus)

Was für eine warme und angenehme Nacht. Keine Ahnung, ob es geregnet hat: Ich habe durchgeschlafen und nichts mitbekommen. Als ich zusammenpacke und loslaufe, ist es jedenfalls trocken, und drüben bei den deutschen Campervans ist noch keine Bewegung zu sehen. Ein bißchen neidisch bin ich ja doch, ein Teil von mir säße jetzt auch gerne in einem schicken alten Land Rover Defender mit Camping-Hochdach; aber wie man sich bettet, so liegt man.

Überall trifft man Deutsche (hinten).
 
Ich könnte den heutigen Tag mit einer ganzen Reihe an schicken Abstechern, Naturlehrpfaden und Boardwalks durch Sümpfe garnieren, aber irgendwas sagt mir, daß das heute nicht Thema für mich sein wird. Wenn ich mir meine Essensvorräte so ansehe, muß ich mir leider attestieren, daß ich etwas zu gutgläubig mit mir selber war. Den nächsten Laden sehe ich voraussichtlich erst in 4 Tagen. Ich bin nicht ganz sicher, ob ich bis dahin genug zu Futtern habe. Und es soll durchgehend regnen. Das verringert deutlich meine Lust, hier noch mehr Zeit zu verbringen, sondern treibt mich eher an, die Tagesetappen zu verlängern, um Strecke zu machen.

Das mit dem Regen dauert heute nur eine halbe Stunde. 30 Minuten nach dem Start geht es los, und es wird den ganzen Tag eigentlich nicht mehr so richtig aufhören. Mal tröpfelt es nur, mal gießt es wie aus Gewittereimern, manchmal peitscht der Wind den Regen von der Seite unter meinem Regenschirm. Dazu diese verdammte Schotterstraße. 13 oder 14km geradeaus. Quasi mein Endgegner. Ich bin hier vorletzten Winter schon mit dem Auto entlanggefahren und habe mich gefragt, wann diese Straße endlich mal endet. Heute, zu Fuß, stelle ich mir diese Frage besser nicht.

Frühstückspause auf einem kleinen Parkplatz neben einem Naturlehrpfad. Schnell eine Lücke zwischen den Wolken nutzen. Kaum sitze ich, beginnt der Regen wieder. Ich kauere mich mißmutig unter meinen Regenschirm und kaue meinen Apfel. Weiter geradeaus.

Mein übliches Begleitkommando in Form eines überschaubaren Schwarms an Fliegen, Mücken und Bremsen ist heute auf mindestens das Vierfache angewachsen. Dazu kommt die bittere Tatsache, daß ich heute mit Mückenmittel nichts ausrichten kann, weil es sofort vom Regen weggewaschen wird. Also laufe ich über weite Strecken des Tages wieder mit meinem Netz über dem Kopf, um wenigstens etwas Ruhe vor den Biestern zu haben. Deren Taktik geht nämlich so: Wenn die normalen Fliegen dich soweit zermürbt haben, daß du gar nicht mehr darauf reagierst, wenn sich irgendwas auf deinen Arm oder in deinen Nacken setzt, dann kommen die Bremsen und Mücken ins Spiel und bohren sich in deine Haut. Drecksviecher.


Eigentlich hatte ich heute nur einen kurzen 22km-Tag vor mir, bis zum RMK-Zeltplatz Hüpassaare, neben einem Museum gelegen, das hier in das Geburtshaus einen estnischen Komponisten hineingebaut wurde. Welcher? Ist mir heute bei dem Wetter ehrlich gesagt total egal. Meine Kulturfähigkeit geht heute gen Null. Statt dessen hat sich meine Zieloptik auf auf ein Gästehaus 10km weiter an der Straße nach Suure-Jaani eingerichtet. Ein Bett? Eine Dusche? Gar ein Abendessen?

Ich versuche am Nachmittag zweimal, dort anzurufen, aber ohne Antwort. Wird schon. Lustlos absolviere ich die letzten Stunden auf diesen langweiligen Forststraßen, Schirm auf, Schirm zu. Ich hab keinen Bock mehr. Mir ist kalt, ich bin patschnaß, muh mäh meh!

Zur Krönung folgt dann noch ein Stück Weg, auf dem ich das laute Fluchen echt nicht mehr unterdrücken kann. Den ganzen Tag bin ich auf breiten Forststraßen gelaufen, und auf der letzten halben Stunde des Tages führt mich der Weg durch ein mit Gras zugewuchertes Waldstück, damit ich nochmal schön das ganze Wasser von Gräsern und Büschen abstreifen kann, und meine Hose so naß wird, als hätte ich eine eiskalte vollgesogene Windel an. Auf diesem Stück geht dann mein Fliegen/Bremsenschwarm endgültig steil und treibt mich in die Verzweiflung. Jetzt hilft nur noch Vorwärts.


500m Straße, dann biege ich in die Einfahrt runter zum Gästehaus ein. Ich kriege trotz überrascht hochgezogener Augenbrauen ein Zimmer. Heiße Dusche. kein Abendessen, dafür aber die Aussicht auf Frühstück morgen früh. Immerhin. Ich plündere den Getränkekühlschrank und die Eistruhe im Treppenhaus, betrachte kopfschüttelnd die Wolkenbrüche des frühen Abends von meinem geöffneten Fenster aus und bin froh, daß ich bei diesem Regen und diesem Wind nicht im Wald unter irgendwelchen Bäumen zelten muß.

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