Sonntag, 2. Juli 2023

Tag 34: Zeckeninvasion am Fluß.

Sonntag, 25.06.2023
Morgens 11°, Nachmittags 19°; sonnig, später mit Gewitterwolken
8,75h mit Pausen, 5,5h reine Laufzeit
25km
Vecate nach kleiner Rastplatz am Salaca-Fluß

Was für ein Morgen. Gegen 05:00 der erste Blick aus dem Zelt auf den Rucksack, der unter dem Vorzelt liegt. Tausend Ameisen haben über Nacht meinen Rucksack bevölkert. Shit... Aber irgendwas Schlimmes muß hier passiert sein, vielleicht eine Schlacht zwischen zwei Ameisenvölkern, denn unter meinen Rucksack liegen nochmal 200 tote Ameisen. Seufzend zerre ich meinen Rucksack rüber zur Picknickbank und nehme ihn auseinander, um ihn von Ameisen zu befreien.

Dann der unschuldige Gang zum Dixie-Klo. Soweit alles normal hier drin, riecht auch nicht mal schlimm. Aber was zur Hölle ist das für ein Geräusch? Ich schaue hoch und sehe ein kopfgroßes Wespennest in der Ecke des Dixie-Klos, mit entsprechender Bevölkerung. Äh, nein Danke! Tür zu, Abstand gewinnen. Nicht nötig. Ich kann warten.


Diesmal hat der Laden drüben an der Landstraße offen, ich kaufe mir nur schnell was zu Trinken, dann klappe ich den Kragen noch und mache mich an die nächsten Kilometer auf der Straße. Erst in Mazsalaca wird das Bild wieder freundlicher. Alte blaßbunte Holzhäuser, der Bootsverleih, ein Café, ein Laden, ein kleiner Stadtpark. Ich mache nochmal einen etwas größeren Einkauf, die nächsten Tage werden Campingtage, rein gefühlt fernab von allen Läden und Dörfern.


Pause mache ich erst am Rande von Mazsalaca, neben einer hohen alten Eisenbahnbrücke. Eine Truppe Jugend reibt gerade mit großer Geräuschkulisse auf SUP-Boards den Fluß hinab. Ich schaue lieber sorgenvoll auf die heranziehenden Gewitterwolken im Osten... Heute besser nicht zu lange bummeln. Ich schaue mir noch kurz den Park des alten Gutshofes an (Valtenberģu muiža), heute das Stadtmuseum mit viel Kunst innendrin und drumherum. Unten am Fluß liegt ein herrlicher Campingspot, aber der ist erstens schon von Wohnwagen-Touristen belegt, und zweitens ist der Tag noch nicht reif.

Ein Stückchen weiter beginnt ein regionaler Tourismus-Hotspot, die Engelshöhle (Eņģeļu ala). Eine Höhle in den Sandsteinklippen am Fluß, ein Ausflugsziel wie gemacht für einen Sonntagsspaziergang. Entsprechend gibt es einen Wanderparkplatz und für die ganz geschäftigen Tagesogar  einen ausgeschilderten Ausweichparkplatz, ein schönes Wegenetz mit Holzkunst, und - verdammt! - ein Kassenhäuschen. Eigentlich 3 EUR Eintritt, aber die Dame mustert mich, sieht an meinem Kopf vorbei auf meinen Rucksack und winkt mich durch, ohne mit der Wimper zu zucken. Vielen Dank!

Also teile ich mir die nächsten Stunden die Wege mit Spaziergehenden, Familien, Freunden. Die SUP-Paddeltruppe auf dem Fluß taucht wieder auf, offenbar haben wir ähnliche Fortbewegungsgeschwindigkeiten. Eigentlich treffe ich sie bis zum Picknickplatz am Skaņaiskalns (wieder: Sandsteinfelsen am Fluß) immer wieder. Dort landen sie endgültig an und okkupieren den Grillplatz mit Boombox und Barbecue. Hinter diesem Grillplatz endet plötzlich die Spaziergangs-Autobahn der letzten Stunden. Der Weg wird enger, wilder, zugewucherter. Ich schwimme mal wieder durch Gras und Gebüsch, vorbei an zugemüllten Picknickplätzen. Auf einer sonnenbeschienenen Wiese kommt mir eine wandernde Familie entgegen, sogar mit zwei Kindern! Das ist selten hier...

Noch mehr Sandsteinfelsen an den Daugeni-Klippen (Dauģēnu klinti), eine Gruppe Paddler kommen mir im Wald oberhalb der Klippen entgegen, sie sind extra angelandet und hochgestiegen, um von oben runter schauen zu können. Jetzt tapsen sie barfuß unter Oh! und Ah! über die Tannenzapfen und kleinen Äste wieder runter zu ihren Booten.

Eine halbe Stunde weiter kommt der Platz, den ich mir für heute Abend ausgesucht hatte. Ein Campingspot direkt am Fluß, aber welche Enttäuschung... Am anderen Flußufer ein Bauernhof mit Partymucke, statt Picknicktischen oder Hütte nur ein paar auf den Boden geworfene Baumstämme, kein wirklich guter ebener Platz für mein Zelt, eine Feuerstelle mit dem halbverbrannten Plastikmüll der letzten Besucher und ein altes Plumpsklo, das so tief in den Brennnesseln versunken ist, daß es aussichtslos wäre. Ich sitze mißmutig in der Sonne und entscheide 10 Minuten später, daß ich noch weiterlaufe. Es ist erst 17:00, ich habe noch Energie, und irgendwas anderes wird schon kommen. Schlimmstenfalls gibt es in gut 2 Stunden einen Bauern, der seine Wiese an die Paddler zum Zelten vermietet.

Kaum bin ich wieder aufgebrochen, kann ich auf der nächsten Waldlichtung wieder in der Ferne das drohende Gewitter sehen und diesmal auch hören. Yup, besser weiter nach Norden, vielleicht kann ich es ja ausmanövrieren. Die nächste Stunde Weg ist optisch schön, aber nervlich wirklich anstrengend. Zugewachsen, zeckeninfiziert und ziemlich wild. Aber nur eine knappe Stunde später probiere ich eine unscheinbare Abzweigung aus, und lande an einem kleinen Picknickplatz, der nicht in der Karte verzeichnet ist. Es gibt zwei Tische, einen Bach mit wunderbar kaltem Wasser, der hier in die Salaca fließt, und das kleine sandige Delta des Baches gibt eine wunderbare Badestelle ab. Hinter den Tischen findet sich gerade so eine ebene Stelle für mein Zelt – hier bleibe ich.


Ich baue mein Zelt auf, spule meine Ankunftsroutine ab und dann will ich dringend kurz in den Fluß springen, um den Schweiß und den Staub des Tages loszuwerden. Im gleichen Moment, in dem ich meinen Fuß erstmals ins Wasser setze, kracht ganz in der Nähe der Donner los, ich bin in Windeseile wieder aus dem Wasser draußen und verkrieche mich im Zelt. Es bleibt bei ein paar Donnerschlägen, kein Regen, und das Gewitter zieht weiter. Währenddessen kann ich den Zecken aus dem Zelt heraus dabei zuschauen, wie sie von außen an den Zeltwänden hochklettern. Drecksviecher. Ich habe heute im Laufe des Tages ganze 12 Zecken von meinem Körper abgesammelt. Und wer weiß, wie viele noch unterwegs sind. Brrr, gar nicht daran denken...

Der Abend ist ruhig und warm, keine Paddler, keine Wanderer. Später gehe ich natürlich doch noch im Fluß schwimmen, das Wasser ist warm, die Strömung gemächlich. Genau das Richtige zum Einschlafen. Ich liege in meinem Zelt wie abegschnitten von der Außenweg. Die Sonne scheint nochmal durch die Bäume, wie um mir zu versichern, daß das mit dem Gewitter schon alles gut wird, und ich kann beruhigt wegdämmern.

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