Samstag, 1. Juli 2023

Tag 33: See, Wind, Feiertags-Nachwirkungen.

Samstag, 24.06.2023
Morgens 13°, Nachmittags 23°; durchgehend sonnig und windig
5,75h mit Pausen, 4h reine Laufzeit
19km
Burtnieki nach Vecate

Erstmal zum Busbahnhof, gute zwei Kilometer zum Frühstück. Ich hatte die Wahl zwischen zwei Bussen: 06.00 Uhr oder 11.55 Uhr. Für welchen habe ich mich wohl entschieden...? Als ich um halb zwölf am Busbahnhof von Valmiera ankomme, ist da erstaunlicherweise die Hölle los, alle wollen nach dem Partytag gestern Abend irgendwo hin.

Ich kaufe mir ein Ticket nach Burtnieki für 1,55 EUR; andere Route, anderer Preis. Mein Bus fährt knallhart die gesamte Strecke auf genau der Straße entlang, die ich vor drei Tagen zu Fuß abgelaufen bin. Daß er dabei auch direkt an der Bushaltestelle vor meinem Apartment von letzter Nacht vorbeifährt und ich mir damit die zwei Bonuskilometer hätte sparen können, war mir nicht klar. Der Bus ist heute auch keine kleine Marschrutka, sondern ein ausgewachsener Linienbus. Und noch nicht mal leer! Es wollen locker 25 Fahrgäste nach Burtnieki, ich sehe als Gepäck Grillkohle, Badesachen, Freizeitaccessoires.

Die Fahrt tut in den Knochen weh, der Bus schüttelt sich erbärmlich auf der Schotterstraße. Schneller als 30km/h fährt der Fahrer nicht und trotzdem kannst du die Achsen des Busses vor Schmerzen schreien hören. Aber irgendwann sind wir in Burtnieki, ich springe aus dem Bus, ich war hier schonmal. Am Laden vorbei, Richtung See. Nach einer verfallenen Scheune, die zum Gutshaus gehört, öffnet sich das Panorama des Sees. Blau, weit, windig. Als ich hier vor 1,5 Jahren im Winter mit dem Auto ankam, stürmte es so heftig, daß die ganze Karre schaukelte. Die Sicht war damals trotzdem bei vielleicht 100m, alles ein einziges Whiteout. Heute ist die Luft klar und frisch, unten am Wasser wuseln Leute, im Dorf sind noch die Reste des gestrigen Feiertages zu spüren: Ansammlungen von Autos, die Freunde sind zu Besuch, Musik dringt aus den Gärten, in der Luft liegt Grillgeruch.


Ich laufe raus auf den Steg, weniger der Aussicht wegen, sondern weil ich Lust habe, mich direkt in den Wind zu stellen. Vorne am Rand endet quasi die Welt und um mich herum ist nur noch Wasser. Halb rechts leuchtet eine evangelische Kirche in der Sonne und irgendwo da halb links werde ich heute um diesen See herumlaufen, der hier vom Steg aus schier endlos aussieht.

Kurz vor dem Wald mache ich Mittagspause. Ich bin zwar noch nicht lange unterwegs, aber es ist schon weit am Nachmittag. Neben mir duften die Silageballen des Bauernhofes da drüben, ich sitze im Halbschatten im Wind und die 23 Grad fühlen sich gerade nach deutlich weniger an. Gleich nach dem letzten Feld verläuft sich der Feldweg zu einer undeutlichen Fahrspur durch den Wald und noch eine Abzweigung später ist es nur noch eine unverbindliche Wegempfehlung durch brusthohes Gras und wucherndes Gestrüpp. Mein deutscher Ordnungssinn rebelliert, immerhin geht hier doch die markierte Radroute 112 entlang! Aber ich kann mir kaum vorstellen, daß hier kürzlich jemand Rad gefahren sein soll. Ich kann beim Laufen vor lauter Gras nicht mal den Boden sehen, an Zecken mag ich gar nicht denken und mein Fliegen/Bremsen/Mücken-Schwarm dreht gerade erst so richtig auf.


Aber irgendwann kehrt auf der anderen Seite der grünen Hölle wieder Ordnung ein, in Form des ersten Hauses, plötzlich ordentlich gemähter Rasen, eine sandige Zufahrt. Danach ein kleiner Bauernhof --- irgendwas liegt da neben dem Weg, ich vermute erst einen Hund, aber es ist ein Truthahn. Ein fettes häßliches Vieh, daß sich mißmutig erhebt und aufplustert, als ich vorbeilaufe. Im Gegenteil ganz begeistert sind die dazugehörigen Truthahn-Jungvögel, die mit begeistertem Geschrei in scharfer Kurve aus dem Garten angerannt kommen und mir hinterher laufen. Also: Mir folgen. 100m weiter habe ich die Truppe immer noch hinter mir, ich kann das Truthahn-Elternteil schon vorwurfsvoll gollern hören und kurz bevor ich mich fragen kann, wie zur Hölle man Truthahn-Kinder wieder los wird, sind sie auch schon von irgendwas am Wegesrand abgelenkt worden und drehen bei, zurück in den Garten.

Langsam öffnet sich die Landschaft wieder, ab und an blitzt der See blau durch die Büsche und den restlichen Tag wird vor allem der Wind mein Begleiter sein. Die letzten 5 Kilometer sind Straße, es gibt keine Alternative. Die Landstraße ist ausnahmsweise asphaltiert und gut befahren, ich setze mir meinen Hut gegen die pralle Sonne auf und ziehe gemächlich gen Norden.

In Vecate liegt gleich vorne an der Straße der kleine Dorfladen, hier würde ich gerne noch ein paar Getränke für heute Abend einkaufen. Eine Flasche Kvass oder so. Ich sehe noch, wie die Ladentür klappernd hinter einem alten Mann zufällt, aber als ich den Türgriff in der Hand habe, ist es bereits 18.01 Uhr, die Ladnetür abgeschlossen und bitte morgen wieder. Anscheinend Nachwirkungen des Feiertags-Wochenendes, normalerweise haben selbst die kleinen Dorfläden auch Sonntags bis 22.00 Uhr offen.

Also ziehe ich grummelig runter zum Fluß, dort gibt es eine Wiese für mein Zelt, eine Bademöglichkeit für mich und eine Picknickhütte, um meinen Rucksack zu entleeren. Von irgendwo her umpft noch leise Partymusik durch den Rand des Dorfes, ich schwimme eine Runde im Fluß, hänge meine Klamotten in den Wind und überlege mir in Ruhe, wo mein Zelt stehen soll.

Ab und zu saust ein Auto über die alte sowjetische Betonbrücke nebenan, ein junger Mann mit Kind kommt auf einen Abendspaziergang vorbei und wir wechseln ein paar Worte, und wenn es ganz still und den Fischen genügend langweilig ist, dann kann ich sie im Fluß kleine Sprungkunststückchen machen hören.

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