Sonntag, 18. Juni 2023

Tag 24: Einladung zum Grillen.

Sonntag, 11.06.2023
Morgens 7°, Nachmittags 21°; sonnig und klar
6h reine Laufzeit
28km
Vecbebri nach Zeltwiese am See (Nähe Taurupe)

Ein ordentliches Programm habe ich mir da heute vorgenommen. 32km. Außerdem habe ich mir bei der Planung schön süffisant den Hinweis „Straßentag“ neben die heutige Etappe geschrieben. Als ich mir das heute früh nochmal schnell auf der Karte anschaue, wird uir klar, daß der ganze Tag auf der Straße stattfinden wird. Uff...

Aber schon in der ersten Stunde werde ich wieder daran erinnert, was diese offizielle Straße hier eigentlich von den Forststraßen im Wald unterscheidet. Eigentlich nichts. Beide mit Schotterbelag, die offizielle Straße kommt vielleicht eher noch mit mehr Kurven daher als die geraden Schneisen durch den Wald. Der einzige wirkliche Unterschied ist, daß hier immerhin ein Auto pro Stunde vorbeikommt, statt 0,1 Autos pro Stunde im Wald. Also nicht wirklich schlimm.

Andererseits bleibt der Tag durch die vielen Straßenkilometer seltsam ereignislos. Links und rechts nur endlose Felder und Wiesen, mal ein paar Pferde, mal kommt mir ein Auto entgegen. Kurz bevor ich mich zur Frühstückspause hinsetze, sogar eine Joggerin in schrillbuntem Outfit, die locker auch irgendwo in Kalifornien zwischen irgendwelchen reichen Hügeln zuhause sein könnte.


Ich bestaune das Dorf Mengele, das neben seinem etwas seltsamen Namen noch mit einem schönen See, einem riesigen Sportplatz, schön abgewrackten Plattenbauten und – etwas weiter die Straße hoch – streng genormten Einfamilienhäusern für die Funktionäre aufwarten kann. Ich setze mich auf dem Friedhof auf eine der vielen Bänke in den Schatten, telefoniere mit der Heimat und schaue dem Damenkollektiv beim Harken der Wege zu. Ich kann genau sehen, daß ich mißtrauisch beäugt werde, wahrscheinlich weil ich mit meinen Stiefeln die frisch geharkten Wege zertrampelt habe. Wie ein Wolfsrudel ziehen sie allmählich ihre Kreise immer näher um mich herum und irgendwann verstehe ich die Signale und trolle mich wieder auf die sonnige Landstraße.

Einziges Highlight des Tages (und das passende Etappenziel zum Nachmittag) ist ein großer hölzerner Aussichtsturm auf einem Hügel ein paar Kilometer weiter. Hier hätte ich auch gut mein Zelt aufschlagen können, unten am Fluß gibt es eine schöne Wiese. Aber ich habe heute noch genug Energie in mir, um weiterzulaufen. Ich beobachte entspannt ein paar Sonntagsbesucher am Turm, steige irgendwann selber auf das schwer im Wind schwankende Ding hinauf und versuche einfach, meine Höhenangst runterzuschlucken. Die Aussicht ist immerhin erbauend, viel Grün, viel weit, viel Himmel.


Etwas weiter werfe ich mal wieder spontan die restliche Routenplanung um: Wenn ich auf der Sraße bleibe, kann ich locker 3 oder 4km von diesem Tag runternehmen und aus einer anstrengenden 32km-Tour wird eine okaye 28km-Tour. Und auf der Straße ist am späten Nachmittag so gut wie nichts los, also kein Problem.


Diese Entscheidung war wahrscheinlich die beste Entscheidung, die ich seit langem getroffen habe. Wäre ich stur meine abgesteckte Route für heute weitergegangen, wäre das Folgende nicht passiert: Eine Stunde weiter sehe ich ein paar Leute in einem Gemüsegarten, unsere Wege kreuzen sich auf der Straße und wir plaudern ein bißchen auf Englisch. Sehr schnell steht die Einladung auf ein Getränk und etwas zu Essen im Raum. Ich brauche einen Moment, um mich aus dem Tunnelblick-Modus zu befreien („Noch eine halbe Stunde, dann bin ich am See und kann mein Zelt aufbauen.“). Ok, natürlich werde ich das nicht ausschlagen.

Als wir um die Ecke in den Garten des nächsten Hauses kommen, wuselt da eine bunte Truppe aus 35-60jährigen zwischen halb gedecktem Tisch und Brennholzstapel umher, mich erinnert die Situation sofort an das Haus in Italien und meine zusammengewürfelte Gruppe an Freunden. Es gibt erstmal Suppe und Tee, danach Birkensaft. Der Grill wird angeworfen, wir sprechen über meine Reise, Brexit und lettische Geschichte. Die zwei Hunde und ein kleines Kind tollen durch den Garten und ich bade glücklich in dem Gefühl, einfach irgendwo willkommen zu sein. Es fällt der schöne Satz: „Come on, leave your inner German behind.“, und ich finde ihn sehr passend. Es gibt ein paar Stücke Fleisch, saure Gurken und einen belarussischen Kräuterschnaps mit pseudodeutschem Namen. Später dann Impro-/Maltheater und allgemeines Gelächter. Natürlich bin ich dabei vollkommen Lost in Translation, aber ich genieße einfach nur das Gefühl, einen Abend nicht alleine zu verbringen.


Gegen 21:30 reiße ich mich los. Ich hätte locker auch hier im Garten übernachten können, wenn ich gefragt hätte. Eigentlich stand das Angebot auch schon halb im Raum. Aber ich habe tierisch Lust, heute Abend noch zum Abschluß eines tollen Tages in den See zu springen. Mit der untergehenden Sonne komme ich auf der Wiese am See an, baue mein Zelt auf und genau rechtzeitig verabschiedet sich die Dorfjugend nach Hause, ich habe die Badestelle für mich alleine und wasche mir den Schweiß und den Staub der Landstraße vom Körper.

Ich rolle mich glücklich in meinen Schlafsack ein. Was für ein herrlicher Tag.

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