Sonntag,
11.06.2023
Morgens 7°, Nachmittags 21°; sonnig und klar
6h
reine Laufzeit
28km
Vecbebri nach Zeltwiese am See (Nähe
Taurupe)
Ein
ordentliches Programm habe ich mir da heute vorgenommen. 32km.
Außerdem habe ich mir bei der Planung schön süffisant den Hinweis
„Straßentag“ neben die heutige Etappe geschrieben. Als ich mir
das heute früh nochmal schnell auf der Karte anschaue, wird uir
klar, daß der ganze Tag auf der Straße stattfinden wird. Uff...
Aber schon in
der ersten Stunde werde ich wieder daran erinnert, was diese
offizielle Straße hier eigentlich von den Forststraßen im Wald
unterscheidet. Eigentlich nichts. Beide mit Schotterbelag, die
offizielle Straße kommt vielleicht eher noch mit mehr Kurven daher als die
geraden Schneisen durch den Wald. Der einzige wirkliche Unterschied ist, daß
hier immerhin ein Auto pro Stunde vorbeikommt, statt 0,1 Autos pro
Stunde im Wald. Also nicht wirklich schlimm.
Andererseits
bleibt der Tag durch die vielen Straßenkilometer seltsam
ereignislos. Links und rechts nur endlose Felder und Wiesen, mal ein
paar Pferde, mal kommt mir ein Auto entgegen. Kurz bevor ich mich zur
Frühstückspause hinsetze, sogar eine Joggerin in schrillbuntem
Outfit, die locker auch irgendwo in Kalifornien zwischen irgendwelchen
reichen Hügeln zuhause sein könnte.
Ich bestaune
das Dorf Mengele, das neben seinem etwas seltsamen Namen noch mit einem
schönen See, einem riesigen Sportplatz, schön abgewrackten
Plattenbauten und – etwas weiter die Straße hoch – streng
genormten Einfamilienhäusern für die Funktionäre aufwarten kann.
Ich setze mich auf dem Friedhof auf eine der vielen Bänke in den
Schatten, telefoniere mit der Heimat und schaue dem Damenkollektiv
beim Harken der Wege zu. Ich kann genau sehen, daß ich mißtrauisch
beäugt werde, wahrscheinlich weil ich mit meinen Stiefeln die frisch
geharkten Wege zertrampelt habe. Wie ein Wolfsrudel ziehen sie allmählich ihre
Kreise immer näher um mich herum und irgendwann verstehe ich die
Signale und trolle mich wieder auf die sonnige Landstraße.
Einziges
Highlight des Tages (und das passende Etappenziel zum Nachmittag) ist ein
großer hölzerner Aussichtsturm auf einem Hügel ein paar Kilometer
weiter. Hier hätte ich auch gut mein Zelt aufschlagen können, unten
am Fluß gibt es eine schöne Wiese. Aber ich habe heute noch genug Energie
in mir, um weiterzulaufen. Ich beobachte entspannt ein paar
Sonntagsbesucher am Turm, steige irgendwann selber auf das schwer im
Wind schwankende Ding hinauf und versuche einfach, meine Höhenangst
runterzuschlucken. Die Aussicht ist immerhin erbauend, viel Grün,
viel weit, viel Himmel.
Etwas weiter
werfe ich mal wieder spontan die restliche Routenplanung um: Wenn ich
auf der Sraße bleibe, kann ich locker 3 oder 4km von diesem Tag
runternehmen und aus einer anstrengenden 32km-Tour wird eine okaye
28km-Tour. Und auf der Straße ist am späten Nachmittag so gut wie
nichts los, also kein Problem.
Diese
Entscheidung war wahrscheinlich die beste Entscheidung, die ich seit
langem getroffen habe. Wäre ich stur meine abgesteckte Route für heute weitergegangen, wäre das Folgende nicht passiert: Eine Stunde weiter sehe ich ein paar Leute in
einem Gemüsegarten, unsere Wege kreuzen sich auf der Straße und wir
plaudern ein bißchen auf Englisch. Sehr schnell steht die Einladung
auf ein Getränk und etwas zu Essen im Raum. Ich brauche einen
Moment, um mich aus dem Tunnelblick-Modus zu befreien („Noch eine
halbe Stunde, dann bin ich am See und kann mein Zelt aufbauen.“).
Ok, natürlich werde ich das nicht ausschlagen.
Als wir um die
Ecke in den Garten des nächsten Hauses kommen, wuselt da eine bunte
Truppe aus 35-60jährigen zwischen halb gedecktem Tisch und
Brennholzstapel umher, mich erinnert die Situation sofort an das Haus
in Italien und meine zusammengewürfelte Gruppe an Freunden. Es
gibt erstmal Suppe und Tee, danach Birkensaft. Der Grill wird
angeworfen, wir sprechen über meine Reise, Brexit und lettische
Geschichte. Die zwei Hunde und ein kleines Kind tollen durch den
Garten und ich bade glücklich in dem Gefühl, einfach irgendwo willkommen zu
sein. Es fällt der schöne Satz: „Come on, leave your inner German
behind.“, und ich finde ihn sehr passend. Es gibt ein paar Stücke
Fleisch, saure Gurken und einen belarussischen Kräuterschnaps mit
pseudodeutschem Namen. Später dann Impro-/Maltheater und allgemeines
Gelächter. Natürlich bin ich dabei vollkommen Lost in Translation,
aber ich genieße einfach nur das Gefühl, einen Abend nicht alleine
zu verbringen.
Gegen 21:30
reiße ich mich los. Ich hätte locker auch hier im Garten
übernachten können, wenn ich gefragt hätte. Eigentlich stand das
Angebot auch schon halb im Raum. Aber ich habe tierisch Lust, heute Abend
noch zum Abschluß eines tollen Tages in den See zu springen. Mit der
untergehenden Sonne komme ich auf der Wiese am See an, baue mein Zelt
auf und genau rechtzeitig verabschiedet sich die Dorfjugend nach
Hause, ich habe die Badestelle für mich alleine und wasche mir den
Schweiß und den Staub der Landstraße vom Körper.
Ich rolle mich
glücklich in meinen Schlafsack ein. Was für ein herrlicher Tag.
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