Samstag, 17. Juni 2023

Tag 23: Neue Rekorde in Sachen "Pause machen".

Samstag, 10.06.2023
Morgens 7°, Nachmittags 18°; sonnig und windig
9,25h mit vieeeeelen Pausen, 5h reine Laufzeit
25km
Pļaviņas nach Vecbebri

Es gibt Frühstück! Eigentlich will ich am Morgen nur meinen Schüssel in der Bar abwerfen, aber die Bardame zeigt wortlos auf einen der Tische, auf dem ein Frühstück für mich gedeckt ist. Osteuropäisch-deftig, komplettiert mit der klassischen Trikolore aus Gurke, Tomate und Ei. Dazu Tee, und ich bin im 7. Himmel. Doch dann stellt mir die Bardame ungefragt den hier abgebildeten Teller auf den Tisch. Zwei Würstchen aus Mystery Meat, mit einer Garnitur aus Ketchup. Ich bin zwar hart im Nehmen, aber das kriege nicht mal ich runter. Fasziniert und leicht angeekelt schiebe ich den Teller sanft zur Seite und esse lieber ein Brot mit Pfirsich-Marmelade...

Heute. Heute müsste das mit der kurzen Etappe eigentlich klappen. Dadurch daß gestern länger geworden ist, habe ich eigentlich schon ein paar Kilometer vorgearbeitet. Dazu bin ich heute zeitig aus dem Landstraßenmotel losgekommen. Da müsste ich eigentlich NOCH MEHR Pause machen können als gestern! Dazu vielleicht ein erklärendes Wort: Tatsächlich merke ich, daß ich seit einigen Tagen richtig gerne Zeit draußen verbinge, vielleicht noch mehr als sonst. Das Wetter ist herrlich, nicht zu warm, etwas Wind dazu. Ich sitze viel lieber mit meinem Rucksack irgendwo im Gras in der Sonne, als daß ich Abends in irgendeiner Unterkunft auf der Bettkante sitze. Insofern ist „Pause machen“ für mich gerade nichts anderes als das Genießen von Landschaft, Ruhe, Sonne und Freiheit. Warum sonst würde ich an einem Tag wie heute Spaß haben, an dem ich von über 9h unterwegs am Ende über 4h Pause gemacht haben werde...

Gleich zu Beginn des Tages überquere ich die Bahnlinie zwischen zwei Zügen. Ich bin kaum drüber, da dröhnt der schwere Kohlenzug heran, gezogen von einer alten sowjetischen Doppel-Diesellokomotive. Der kleine Techniknerd in mir muß natürlich stehenbleiben und das Schauspiel genießen. Drüben im Wald warten wieder pfeilgerade Forststraßen auf mich, aber ich bin heute so entspannt, daß mich das nicht anficht. 


Spannend wird es erst 2 Stunden später. Ich hatte mir bei der Planung wieder eine dieser Routen zusammengeschustert, die sich vollkommen darauf verlässt, daß ich genau „da durchkomme“. Wenn das nicht klappt, warten locker 6-8km Umweg auf mich. Ein Weg ist immerhin auf der Karte eingezeichnet, aber ich habe in den letzten Tagen gelernt, daß die lettischen Karten es mit der Realität nicht ganz so genau nehmen. Passend dazu gibt es meine nächste Abzweigung in Wirklichkeit gar nicht und die Improvisation beginnt.


Ich finde schließlich wieder zurück auf den einzigen Weg nach Westen, in der Natur ist er eine blasse Fahrspur im Gras, ausgefahren wahrscheinlich von irgendwelchen Geländewagen der Jäger, die offensichtlich die Wiesen hier am Waldrand bejagen. Ich laufe zwei Kilometer durch eine der Welt total entrückte Landschaft, einem Wassergraben folgend, links und rechts davon einzelne uralte Bäume, die stolz im Sonnenlicht stehen und den Waldrand bewachen.

Bevor der Weg in einem frisch bestellten Feld verschwindet, werfe ich mich nochmal ins Gras und mache ausgiebig Mittag, schaue dabei ein paar Rehen auf der anderen Seite des Wassergrabens zu. Später schlage ich mich durch zwei Felder zum nächsten Sandweg durch, hier beginnt wieder das Landwirtschaftsland. Alte Erdkeller, die vor langer Zeit in die sanften Hügel neben dem Sandweg gegraben wurden, zeugen davon, daß hier mal Bauernhöfe standen. Drüben hinter den Bäumen kann ich das rote Dach einer Scheune sehen. Die erste Kuhherde, das nächste Dorf.


Die letzte Stunde des Tages ist Straßenetappe, mal geschottert, mal geteert. In Vecbebri ziehen ein paar Jungs auf dem Sportplatz ihre Runden auf der 400m-Bahn. Ich finde mein Gästehaus für heute Abend, offenbar niemand zuhause, aber die Türen sind offen. Also lasse ich meinen Rucksack auf der Bank stehen, gehe erstmal rüber in den kleinen Dorfladen und kaufe – Überraschung! - ein paar Getränke und ein Eis. Als ich wieder auf meiner Bank sitze, kommt ein älterer Herr um die Ecke, offenbar mein Gastgeber. Moment, den habe ich doch eben noch im Dorfladen hinter der Theke gesehen! So klein ist die Welt. Wir sind natürlich Lost in Translation, weil unsere Fremdsprachen nicht zusammenpassen. Aber das ist ok, das Wichtigste ist schnell gezeigt.

Der Abend fließt dahin, ich höre der lokalen Jugend dabei zu, wie sie ihre BMWs mit Bassantrieb auf der Dorfstraße hin und her scheucht, es ist schließlich Samstag. Von irgendwo im Dorf kommt Musik, irgendwas wird irgendwo gefeiert. Ich freue mich schon darauf, daß ich morgen und wahrscheinlich auch übermorgen wieder Zeltnächte vor mir habe, das Wetter soll unverändert halten.

1 Kommentar:

  1. Kilian, diese beiden dekorierten Pimmel nach dem Frühstück sind wirklich zuuuu viel des Guten!! Muttern

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