Montag,
05.06.2023
Morgens 6°, Nachmittags 18°; wechselhaft
9,75h mit
Pausen, 7h reine Laufzeit
29km
Ilūkste nach
Waldlichtung nördlich von Bebrene
Gleich hinter dem Ort biege ich auf einen Schleichweg zwischen den Feldern ab, hinten am Waldrand liegt der Beginn eines Naturschutzgebietes, auf das ich bei der Planung der Tour gestoßen bin. Große Infrastruktur: Kassenhäuschen, Parkplatz, bergeweise Fahrradständer, Wegweiser. Aber natürlich bin ich an einem Montagmorgen alleine hier.
Ich biege vom Hauptweg ab auf einen kleinen Abzweig, der weiter nach Norden führt. Dieser Weg ist nochmal deutlich schmaler und wilder, nach einer knappen Stunde stehe ich plötzlich auf einer kleinen grasigen Lichtung, umgeben von hoch wuchernden Büschen. Fast wie ein Iglu. Dahinter beginnt ein verwunschener Weg durch ein Sumpfgebiet, es liegt noch ein bißchen Morgennebel zwischen den Bäumen. Gleich danach: Die Katastrophe. Der Weg endet mit einem Schild. Malerisch dahinter eine kleine eingestürzte Brücke. Sackgasse. Kann ich nicht akzeptieren, Das hier ist weit und breit der einzige Weg, der in die richtige Richtung führt. Also gehe ich weiter – und kann mich nur 50m später schon durchs Unterholz kämpfen. Man sieht, daß hier mal ein Weg war, an manchen Stellen sind sogar noch halb vorrottete Treppenstufen zu sehen. Offensichtlich hat die Parkverwaltung irgendwann beschlossen, daß dieser Teil nicht mehr unterhalten wird, weil bis hierher sowieso niemand geht.
Der Weg NACH dem Schild... |
Die einzig wirklich sinnvolle Möglichkeit ist jetzt, sich nach Südwesten zur Straße durchzuschlagen. In dieser leeren Landschaft aus ungenutzten Wäldern und brachliegenden Feldern gibt es einfach unglaublich wenig Wege, die miteinander vernetzt sind. Warum auch? Für die wenigen Bewohner reicht es ja, wenn sie von der Hauptstraße über einen Stichweg zu ihrem Haus kommen. Ich finde also keine richtig gute Alternative, und das heißt für die heutige Etappe wahrscheinlich 2 oder 3 Stunden mehr Weg. Alle anderen Wege würden mich direkt zuück nach Ilūkste bringen, wo ich heute früh losgelaufen bin. Super. Ich hatte heute sowieso schon einen 35km-Tag auf dem Zettel, mit 2 oder 3 Stunden Umweg schaffe ich das niemals. Aber darüber kann ich auch später nachdenken.
Also navigiere ich über Feldwege und Schotterstraßen zumindest in die richtige Richtung, um heute Nachmittag wieder grob auf meine geplante Route zu treffen. Durch den Umweg habe ich immerhin die Möglichkeit, bei einem Freilichtmuseum vorbeizuschauen. Leider geschlossen, aber zumindest die Picknicktische sind eine willkommene Gelegenheit zur Rast. Die Aussicht ist super, vor mir liegt das Landschaftsschutzgebiet „Dvietes paliene“, Flutwiesen, Vogelschutzgebiet, äsende Rinder und Pferde, um die Vegetation kurz zu halten. Weite Aussicht in das Grün und Blau der Landschaft, dramatische Wolken und Sonne dazu. Was für ein schöner Umweg.
Ich überquere die einzige Brücke weit und breit, die die beiden Hälften des Parks miteinander verbindet. Die Landschaft dahinter ist wie auf einen Schlag sehr leer, auf der nächsten Anhöhe beginnen die Felder und je weiter ich gehe, umso mehr fühlt es sich an, als daß da hinten am Waldrand auch die Welt zu Ende ist. Der Bauer ist mit dem Traktor längst nach Hause gefahren, ich sitze auf einer frisch gemähten Wiese und schaue mir die tiefstehende Sonne an. Irgendwo hier würde ich gerne mein Zelt aufschlagen, aber die Disziplin in mir findet deutliche Worte: Ich sollte noch mindestens eine Stunde weitergehen, ansonsten wird der morgige Tag einfach zu lang.
Und so ziehe ich etwas lustlos weiter in den Wald hinein, finde irgendwo neben dem Forstweg hinter einem Holzstapel am Rande einer Lichtung einen flachen Platz und zögere nicht lange, mein Zelt aufzubauen. Kein Wasser weit und breit, keine Möglichkeit, den Staub und den Schweiß des Tages abzuwaschen, nichts zum Sitzen, einfach nur ein paar halbwegs flache Quadratmeter irgendwo im Wald.
Plötzlich sind tausende kleiner Mini-Mücken um mich herum, die eher lästig sind als daß sie stechen würden. Trotzdem verkrieche ich mich schleunigst ins Zelt und verlege alle Aktivitäten nach drinnen. Das Abendessen ist karg, ich lerne mal wieder eine Lektion in Demut: Was gibt es zum Abendbrot, wenn man noch zwei Scheiben Brot im Beutel hat, aber nichts als Belag? Richtig, zwei Scheiben Brot.
Morgen wird alles besser.
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