Sonntag, 11. Juni 2023

Tag 18: Die klapprigen Beine erstmal wieder in Gang bringen...

Sonntag, 04.06.2023
Morgens 5°, Nachmittags 15°; wolkig, windig, Schauer
7,75h mit Pausen, 5,25h reine Laufzeit
27km
Daugavpils nach
Ilūkste

Ok, das kostet heute richtig Überwindung. Draußen ist es saukalt, gestern sind die Temperaturen nochmal ordentlich gefallen, es hat viel geregnet und tagsüber wurde es nicht wärmer als 14 Grad. Heute soll es nicht viel besser werden. Ich stelle mich darauf ein und ziehe mir die Jacke bis unters Kinn zu. Harhar: Nur gut, daß ich vor ein paar Tagen meine einzige lange Hose in ein Paket gepackt und zusammen mit ein paar anderen „unnützen“ Dingen nach Hause geschickt habe. Ach, die will ich nicht mehr mit mir rumschleppen. Ist doch jetzt Juni, wird doch jetzt nicht mehr kalt. Denkste.

Erstmal raus aus Daugavpils. Ich kenne den Weg schon, ich bin hier vorgestern entlang geschlendert, als ich mir die Festung angeschaut habe. Nach Nordwesten aus der Innenstadt raus, etwas neben der Ausfallstraße balancieren, im Geiste bei Daugavpils für die entspannten Pausentage danken, durch das Michaelstor die Festungsanlage betreten, durch das Konstantintor auf der anderen Seite wieder raus. Kenne ich alles schon, wie ein Profi. Dahinter beginnt zugegebermaßen der doofe Teil. Ich suche mir meine Schleichwege zwischen Kasernen, Tanklagern, Bahnanlagen und Autowerkstätten. Dann Datschas, winzig und nebeneinander gedrängt. Über mir kreist ein alter Doppeldecker, wenn mich meine Augen nicht täuschen, müsste es eine Antonow An-2 sein. Der Motor dröhnt in den Sonntag hinein, wahrscheinlich Rundflüge für die Besuchenden des Stadtfestes.

Eine Stunde durch den Wald, eine halbe Stunde übers Feld und die Stadt liegt erstaunlich weit hinter mir. Die ersten Bauernhöfe und ihre Felder prägen das Bild. Weiter vorne sehe ich die Brücke der A14 über die Daugava. Die LKWs ziehen in der Entfernung wie stille fette Wolken über die Lanstraße und die Brücke. Ich muß da auf jeden Fall hoch und drüber, das ist die einzige Brücke für die nächsten 80km, bis Jekabpils (4 Tagesetappen später) gibt es nichts mehr. Also kraxele ich ein bißchen Böschungen hoch, gehe den schmalen Weg neben der Fahrbahn entlang, auf dem man fieserweise ständig durch einen Gitterrost nach unten schauen muß. Urks.

Auf den Felder packt mich der Wind und die ersten Regentropfen des Tages wehen heran. Die Dörfer hier erscheinen noch etwas leerer und verfallener als drüben in Litauen, aber vielleicht ist auch das fahle Licht dieses wenig einladenden Tages daran schuld. Im Wald mache ich erstmal ausgiebig Mittagspause, ein Motocross-Fahrer brettert grußlos vorbei, ich räume den Rucksack auf Regenmodus um und sitze zufrieden im Wald und gucke einfach irgendwo hin.

 
Ich komme gut voran, die Schmerzen in den Knien sind durch die Pausentage wieder verschwunden. Außerdem habe ich auch wieder zu meiner alten Laufgeschwindigkeit gefunden, nur die Lust auf mehr Pausen ist geblieben. Aber mir fallen nicht viele Gründe ein, warum ich nicht einfach mehr Pausen machen sollte. Einfach entspannt am Wegesrand irgendwo den Rucksack fallen lassen, Stiefel ausziehen, was Essen, was Lesen, irgendwann weiter. Meiner Zufriedenheit ist das sehr zuträglich.

Heute am späten Nachmittag soll es noch mehr regnen, also gebe ich etwas Gas, um anzukommen. Aber am Friedhof von Ilūkste liegt so schön einladend ein Baumstamm, den ich nochmal für eine kleine Endspurt-Rats nutze. Sand aus den Stiefeln kippen, neu schnüren und weiter. Im Dorfsupermarkt kaufe ich mir noch ein paar Dinge für heute Abend und die nächsten zwei Tage. Morgen und übermorgen warten zwei lange Etappen ohne Einkaufsmöglichkeiten auf mich, mit Zelten zwischendrin. Umso dankbarer bin ich, daß ich diesen kalten und regnerischen Abend in einem kleinen Ferienhaus verbringe. Die Vermieter haben freundlicherweise vor meiner Ankunft den Ofen angeworfen, es ist angenehm warm und ich bin zufrieden.

Es ist schön, wieder unterwegs zu sein.

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