Sonntag, 28. Mai 2023

Tag 9: Glück findet sich am Ende meistens im Detail (selbst ausgedachter Kalenderspruch).

Sonntag, 21.05.
Morgens 8°, Nachmittags 21°; sonnig
6,5h mit Pausen, 5h reine Laufzeit
25km
Badeseen bei Bezdonys nach Družiliai

Ich hatte eine erstaunlich ruhig Nacht dafür, daß ich hier quasi auf dem Präsentierteller gezeltet habe. Der Parkplatz ist nur 100m weiter, bis Mitternacht kamen noch einige Badegäste auf dem Weg nach Hause an meinem Zelt vorbei, aber ich bin brav jedesmal sofort wieder eingeschlafen.
Morgens um 06:00 dann der erste Jogger, also war klar: Ich breche dann mal langsam auf...

Der Tag startet seltsam: Obwohl super Wetter ist, bin ich heute lustlos und maulig. Der Rucksack zu schwer, die Jacke zu warm und ach – ich kann mir heute offensichtlich nichts recht machen.
Im nächsten größeren Ort Bezdonys läuten gerade die Kirchenglocken und eine kleine Heerschar an Autos schwärmt zur Kirche. Ich widerstehe der Versuchung, mich dazuzusetzen.

Statt dessen scheuche ich zwei Zäune weiter die örtlichen Alkis auf, die sich eigentlich im Schatten des kommunalen Bauhofes in Ruhe was hinter die Binde kippen wollten, jetzt wo das ach so rechtschaffene Volk endlich in der Kirche ist. Sorry Jungs, bin schon wieder weg...


Ich werfe mich gleich hinter dem Ort in das Grad neben dem Bahndamm und mache erstmal Frühstückspause. Die Laune wird dadurch nicht besser, auch wenn mein Freßbeutel sich merklich leert (und dadurch leichter wird). Also lustlos weiter dem Sandweg folgen. Eine halbe Stunde weiter habe ich die Wahl, ob ich den Bach da vorne überwinde, indem ich den Bahndamm hochsteige und auf den Gleisen laufe oder ob ich die kleine Furt nehme und frohen Mutes durchwate. Ich entscheide mich für die Furt und es war genau richtig: Als ich gerade auf Höhe des Baches bin, rauscht ein Zug vorbei. Das hätte ekelig werden können. Statt dessen schnell Stiefel und Socken ausgezogen, rein ins kühle Naß und als ich am anderen Ufer sitze um die Füße zu trocknen, --- Auftritt lokale Dorfjugend:

Ich hab vorhin im Wald schon immer wieder Motocross-Maschinen gehört, hier tauchen plötzlich zwei Jungs mit ihren Motorrädern auf und nehmen die Wasserdurchfahrt mit. Der Erste schafft es aber irgendwie, seine Maschine so gekonnt abzuwürgen, daß am Ende beide Jungs direkt vor mir zum Stehen kommen, weil sie sich gegenseitig blockieren. Awkward! Ich merke, daß ihre Coolness einen deutlichen Knacks davongetragen hat, auf meinen freundlichen Gruß reagieren sie nicht mehr...


Das nächste Dorf Kreiveniai besteht im Wesentlichen aus kleinen Wochenendgrundstücken. Die Rasenmäher und -trimmer summen, überall Trubel, ich überhole den hier ansässigen Alkoholbotschafter mit zackigem Schritt, danach kommen noch ein paar Wochenend-Radfahrer und sogar ein wanderndes Päarchen. Der Sandweg geht über viele Kilometer an der Neris entlang, die aus Belarus kommend später auch durch Vilnius fließt. Es wird immer einsamer, der Weg immer schmaler, aber dafür bessert sich meine Laune. Es fühlt sich ein bißchen so an, als hätte ich mit ausreichend Abstand zur Stadt meine Reiseflughöhe wieder erreicht.


Kurz vor Santaka queren mitten im gefühlten Nirgendwo zwei Eisenbahnbrücken die Neris. Keine Ahnung, wie weit die nächste asphaltierte Straße weg sein mag. Die alte Brücke über den Fluß ist gesperrt und jetzt Dreh- und Angelpunkt der lokalen Fußgänger, die Züge fahren mit einem kleinen Schlenker über die neue Brücke. Ich stehe lange über dem Fluß und gucke aufs Wasser, staune über all das Grün und Blau, und nur eine Viertelstunde später bin ich an meiner Unterkunft für heute.

Ein absoluter Glücksgriff. Ein schönes Grundstück am Ende des Dorfes, mein Gastgeber und ich stellen schnell fest, daß wir keine gemeinsame Sprache sprechen (er litauisch & russisch, ich deutsch & englisch), aber mit Freundlichkeit, Google Translate und ein bißchen Zeit geht alles. Ich freunde mich mit den beiden Hunden an, bade unten im Fluß an einer der schönsten Badestellen, die ich bisher gesehen habe und sitze noch eine Stunde vor dem Haus in der Sonne.


Mein Gastgeber bringt Eier von den eigenen Hühnern vorbei, die ich im Geiste schonmal mit den getrockneten Schinkenscheiben kombiniere, die ich noch im Rucksack habe. Als die Sonne untergeht, plane ich noch ein bißchen an den nächsten Tagen herum. Morgen komme ich an Pabradė vorbei, dem größten Truppenübungsplatz Litauens, wo auch die Bundeswehr mit rumspringt. Die nächsten Nächte werde ich wieder im Zelt verbringen, auf dem Weg weiter nach Norden.

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