Sonntag, 21. Mai 2023

Tag 3: Warum fühlen sich die kurzen Wandertage am Ende eigentlich immer so lang an?

Sonntag, 14.05.2023
Morgens 10°, Nachmittags 23°; erst sonnig, dann wolkig
6h mit Pausen, 3,75h reine Laufzeit
18km
Zeltplatz Trakiškiai nach Senoji Varėna

Großartige Nacht gehabt dank Oropax. Ich habe 9 Stunden geschlafen wie ein Biber. Kalt war es auch nicht mehr, die wenigen Grad Unterschied zur letzten Nacht haben wirklich was ausgemacht. Sofort denke ich darüber nach, ob ich von den „warmen Klamotten“ nicht doch noch was zurück in die Heimat schicken könnte...

Ich habe mir für heute nur eine kleine Tour vorgenommen und daher viel Zeit. Ich liege bis 10:00 im Zelt herum, döse in den Sonntag hinein, die Nachbarn werfen zum Frühstück den Grill an. In Varėna (der erste größere Ort mit nennenswerter Infrastruktur) gibt es einen Campingplatz, also so richtig mit Dusche und Strom. Der gehört heute Abend mir.

Am späten Vormittag packe ich meinen Kram zusammen und zuckele los. Die erste vermeintliche Abkürzung endet wie immer im Murks und beschert mir eine Querfeldein-Etappe durch eine Kiefernschonung. Vollkommen entnervt lasse ich den See dahinter links liegen, ohne – und hier wird es spannend – zu realisieren, daß das meine letzte Chance auf Wasser gewesen wäre. Unbegreiflicherweise hatte ich heute früh beim Loslaufen meine Wasserflaschen nicht aufgefüllt und dachte mir ganz keck: Naja, bis zum See wird ein Liter schon reichen. Dann kannst du ja nachfüllen. Wie gesagt, den See habe ich links liegenlassen und ne gute Stunde später fange ich an, die letzten Schlucke zu rationieren. Wieso passiert mir das immer auf Etappen, die eigentlich ganz locker und entspannt sein sollten? Wahrscheinlich genau deswegen...

Aber es ist wie immer: Die Straße gibt. Kaum habe ich meinen letzten Schluck ausgetrunken, düst in einer riesigen Staubwolke ein alter VW Sharan heran. Ich winke freundlich und zeige auf die leere Flasche, der Fahrer versteht sofort, hat eine Flasche Leitungswasser für mich übrig und noch den guten Hinweis parat, daß 3km noch ein Fluß mit gutem Wasser kommt. Den hatte ich nicht auf dem Schirm. Fragt mich jetzt bitte nicht, wie das auf litauisch heißt und vor allem, wie ich das verstanden habe; mit Händen und Füßen geht das immer irgendwie.

Ich bin so glücklich über dieses flüssige Geschenk, daß ich mich sofort an den Wegrand setze, die halbe Flasche in einem Zug wegbürste und erstmal Pause mache.

Den dritten Tag in Folge gehe ich geradeaus durch heiße Wälder auf Sandboden. Manchmal ist es Brandenburg, manchmal Schweden, manchmal Finnland. Ich erwische mich mehr als einmal, daß ich den Kopf ausschalte und einfach nur auf die Straße schaue.

Ich suche mir meinen Weg durch die Hügel und Bäume zu einem Badesee westlich von Varėna. Ich hatte mir diesen See mal als möglichen Platz zum Zelten markiert, genug Infrastruktur hat es hier auf jeden Fall. Stege, Toiletten, Picknickhütten, Schaukeln. Es ist einfach Wahnsinn, daß hier an jeder noch so unmöglichen Stelle bergeweise Landschaftsmöblierung steht. Niemals von der Stange, sondern immer von Hand gebaut, aus den unmöglichsten Baumstämmen hingedreht und liebevoll individualisiert.

Als ich am See ankomme, zieht das Wetter gerade zu. Das sumpfige Ufer killt dann endgültig meine Lust auf Baden, also liege ich ne Stunde auf der Wiese und lese ein bißchen. Der Campingplatz ist nur noch ne knappe Stunde entfernt, ein Katzensprung.

Meine gute Laune wird noch kurz auf die Probe gestellt, als ich sehe, daß da vorne keine Brücke ist, wo ich eigentlich eine Brücke erwartet hatte. Der Weg hier ist die einzige gerade Strecke vom See zum Campingplatz, alles andere wären nochmal 30-45min Umweg. Dafür bin ich mir zu schade. Statt „Über jedes Bacherl geht a Brückerl“ ziehe ich mir in Windeseile Stiefel und Socken aus (vor allem, weil hier unten im Bachgrund so richtig Mückenterritorium ist) und wate durch den Bach. Geht bis zu den Knien, ist super erfrischend und ich sehe an den Spuren, daß ich nicht der Erste bin, der sich hier durchgepflügt hat.

Direkt hinter dem Bach – ich hab die Stiefel noch in der Hand, auf der Suche nach einem guten Platz zum Anziehen – stehe ich plötzlich auf einer Baustelle, die wüstenhaft mit feinem grauen Staub bedeckt ist. Hier will sich wohl demnächst jemand ein Haus hinbauen, der Teich ist schon angelegt. Also stapfe ich noch mürrisch durch den Staub und paniere meine Füße pechschwarz, getröstet nur von dem Gedanken, daß ich später auf dem Campingplatz duschen darf.

 

Eine halbe Stunde später bin ich da, ein wirklich entzückender Platz. Großmutter empfängt mich mit einem litauischen Redeschwall, wir checken kurz ab, daß wir keine gemeinsame Sprache sprechen. Aber 25% des Gesagten kommt trotzdem irgendwie rüber und der Rest geht mit Zeigen auch ganz gut. Gleich unterhalb des Campingplatzes fließt die Merkys, ich werfe die vollkommen verschwitzten Klamotten ab und versinke in dem eiskalten schwarzen Wasser. Besser. Als. Duschen.

Zur Feier des Tages wandere ich nochmal in den Ort, um ein paar Dinge für morgen einzukaufen. Auf dem Rückweg stoppe ich beim Pizzaladen, wo man auch draußen sitzen kann. Betonwüste zwar, dafür aber keine Mücken. Am Nebentisch sitzen 6 lokale Halbstarke, denen ich zuhöre, während ich immer wieder ein Kichern unterdrücken muß. Große Männlichkeitsgesten, eingestreute coole englische Ausdrücke, Abklatschen. Aber was soll ich ihnen das übel nehmen. Würde ich in Varėna aufwachsen wollen?, einer mehr oder weniger zweigeteilten Kleinstadt, die sich nicht entscheiden kann, ob sie an der Hauptstraße oder an der Bahnlinie liegen möchte.

Die Pizza ist natürlich viel zu viel, ich nehme die Hälfte wieder mit zurück zum Campingplatz (Der Herr denkt schon an Frühstück!). Die Sonne geht bald unter, ich treffe den einzigen anderen Gast außer mir unten am Fluß beim Angeln. Deutscher. Angler.

Kurz bevor ich ins Bett gehe, springe ich doch noch unter die Dusche. Das Wasser bleibt eiskalt, wahrscheinlich damit die litauische Bevölkerung abgehärtet bleibt. Aber die Aussicht, ganz frisch und lecker im Schlafsack zu liegen, ist nach drei verschwitzten staubigen Tagen im Wald einfach zu gut. Der Zeltplatzbesitzer schaut noch kurz vorbei, von der Erscheinung her ein Berg von einem Wikinger, aber freundlich, neugierig und zugewandt. Wir plaudern noch ein bißchen und dann ist auch echt Feierabend...

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