Donnerstag, 22. Juni 2023

Tag 27: Endlich, Landschaft!

Donnerstag, 15.06.2023
Morgens 13°, Nachmittags 26°; meiste
ns sonnig
8,5h mit Pausen, 6h reine Laufzeit
27km

Sigulda nach
Līgatne

Ich habe einen Fehler gemacht. Aber das ist ja nichts Neues. Ich hatte mir mein Apartment in Sigulda rein danach ausgesucht, ob es mir gefällt – und nicht danach, wo es eigentlich liegt. Zum Ankommen war die Unterkunft genau richtig: Am südlichen Stadtrand. Zum Weiterlaufen eher weniger. Als ich den eigentlichen Startpunkt der Etappe erreiche, habe ich schon über 4km auf der Uhr. Na herrlich! Alle Zeichen stehen bei mir schon auf Sturm, 22 Grad am Morgen, den ersten Umweg schon gelaufen, Grrrrrr!

Da sehe ich im Vorübergehen auf dem Zebrastreifen etwas im Augenwinkel. Die Sonne bildet um den Schatten meines Kopfes eine Glorie, eine Lichterscheinung wie man sie manchmal aus dem Flugzeug beobachten kann. Das finde ich höchst passend und stelle jegliches Mosern sofort ein.

Aber dafür, dann! Oh! Ah! Ach! Noch schnell über eine Baustelle mit streng/skeptisch daherschauendem Bauherren gewuselt, zwischen zwei Büschen im Wald verschwunden und los geht’s mit dem, was ich seit Wochen vermisst habe. Kleine Pfade, Hänge, Hügel, Schluchten, Landschaft, Bäche, Quellen, Sandsteinfelsen, Bacherl/Brückerl, ein Augenschmaus.


Weiter unten am Fluß sehe ich zum ersten Mal auf dieser Reise die Gauja; der Fluß, dem ich die nächsten Tage flußaufwärts folgen werde. Ich war in dieser Gegend schonmal im Winter, damals mit viel Schnee und so vereisten Wegen, so daß ich teilweise an einfachen Steigungen gescheitert bin, weil kein Halt zu finden war. Jetzt ist alles in Grün explodiert und es geht sich leicht und frisch durch diesen Wald am Fluß. Der Tag wird heiß werden, aber hier unten im schattigen Tal ist es noch angenehm kühl. Daß dafür die Mücken hier nicht nur wohnen, sondern auch die Lufthoheit haben, war mir vorher klar. Ein Extra-Klacks Mückenmittel muß irgendwie helfen.

Ich treffe auf das nächste „Kuriosum“, einen markierten Wanderweg! Seit Wochen nicht gesehen... Der weiß/gelb/weiße Weg führt in ca. vier oder fünf Tagesetappen nach Valmiera, ich werde ihm grob folgen. Der erste schöne Pausenplatz am Fluß ist dabei natürlich meiner, ich sitze lange im Schatten und schaue mir an, wie das Wasser langsam von rechts nach links vorbeizieht.


Eine halbe Stunde weiter kommt mir die Welt plötzlich sehr bekannt vor, dieses Stück des Weges bin ich bei besagter Winterwanderung schon mal gelaufen. Leider habe ich die Fotoas davon nicht mehr auf dem Telefon, eine Gegenüberstellung Winter/Sommer wäre jetzt schick. Damals im kniehohen Schnee, jetzt eitel Sonnenschein. Besonders schön ist für die nächsten Stunden, daß ich überhaupt nicht auf die Karte gucken muß, ich kenne den Weg ja. Überhaupt hatte ich schon vorgestern in Sigulda das Gefühl, daß ich irgendwo anknüpfe, daß mir das hier alles nicht fremd ist, daß ich mich hier ein Stück weit auskenne. Nach 5 Wochen unterwegs im Ungewissen fühlt es sich sehr entspannt an, eine ungefähre Vorstellung davon zu haben, was voraus auf dich wartet.

In meinem Fall natürlich wartet natürlich die nächste Pause auf der Zeltwiese Berzi, eingerichtet für die Kanutouristen, mit Gapahuks und Picknicktischen, Flußblick und sehr schickem Plumpsklo. Die kleine Quelle drüben im Wald, die ich mir als Wassernachschub gemerkt hatte, ist natürlich trocken. Dafür hat es die letzten Wochen einfach zu wenig geregnet.

Die Wege der nächsten Stunden sind einfach klasse. Kleine bis mittlere Trampelpfade verbinden die einsamen Höfe, die hier unten am Fluß liegen. In manchen wird nur gewohnt, in manchen gedeihen Schafe, manche bekomme ich nur aus der Entfernung zu sehen.


Aber ich merke, daß sich der Tag zieht. Ich hacke nicht mehr wie sonst mit 5 oder 6 km/h über irgendwelche Feldwege, sondern ich schlängele und bummele und genieße mit vielleicht 3 oder 4 km/h den Fluß entlang. Aus den eigentlich gedachten 22km werden am Ende 27km für heute, also wird es spät. Ich habe mich spontan für ein Hotel in Līgatne entschieden. Ich hätte locker auch irgendwo am Fluß zelten können, aber ich hatte Bock auf ein Bett. Also biege ich etwas verfrüht vom Fluß ab und arbeite mich langsam die Hänge hoch.

Oben in Līgatne fühlt sich die Welt fast an wie auf einem Gebirgspaß, links liegt mein Hotel mit angeschlossenem Kletterpark. Es gibt ein Café, das von vorne auf den ersten Blick aussieht wie ein Container, sich dann aber Ewigkeiten weiter nach hinten in die nächsten Gebäude erstreckt. Eine aus- und umgebaute Fabrik, Eventlocation und Galerie in einem, mit viel Kunst und Platz für Gäste. Ich wandere immer wieder staunend durch dieses Haus und die vollkommen unerwarteten Räume, plündere den kleinen Getränkekühlschrank auf dem Flur und bin insgesamt vollkommen high von diesem Tag.

Alles ist anders als bisher, und es ist super. Ich freue mich tierisch darauf, die nächsten Tage durch diese Landschaft zu wandern.

1 Kommentar:

  1. Ach Schatz, wie immer ist es ein Genuss, Dich virtuell zu begleiten.

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