Donnerstag,
15.06.2023
Morgens 13°, Nachmittags 26°; meistens
sonnig
8,5h
mit Pausen, 6h reine Laufzeit
27km
Sigulda
nach Līgatne
Ich habe einen
Fehler gemacht. Aber das ist ja nichts Neues. Ich hatte mir mein
Apartment in Sigulda rein danach ausgesucht, ob es mir gefällt –
und nicht danach, wo es eigentlich liegt. Zum Ankommen war die
Unterkunft genau richtig: Am südlichen Stadtrand. Zum Weiterlaufen
eher weniger. Als ich den eigentlichen Startpunkt der Etappe
erreiche, habe ich schon über 4km auf der Uhr. Na herrlich! Alle
Zeichen stehen bei mir schon auf Sturm, 22 Grad am Morgen, den ersten
Umweg schon gelaufen, Grrrrrr!
Da sehe ich im
Vorübergehen auf dem Zebrastreifen etwas im Augenwinkel. Die Sonne
bildet um den Schatten meines Kopfes eine Glorie, eine
Lichterscheinung wie man sie manchmal aus dem Flugzeug beobachten
kann. Das finde ich höchst passend und stelle jegliches Mosern
sofort ein.
Aber dafür,
dann! Oh! Ah! Ach! Noch schnell über eine Baustelle mit
streng/skeptisch daherschauendem Bauherren gewuselt, zwischen zwei
Büschen im Wald verschwunden und los geht’s mit dem, was ich seit
Wochen vermisst habe. Kleine Pfade, Hänge, Hügel, Schluchten,
Landschaft, Bäche, Quellen, Sandsteinfelsen, Bacherl/Brückerl, ein
Augenschmaus.
Weiter unten
am Fluß sehe ich zum ersten Mal auf dieser Reise die Gauja; der
Fluß, dem ich die nächsten Tage flußaufwärts folgen werde. Ich
war in dieser Gegend schonmal im Winter, damals mit viel Schnee und
so vereisten Wegen, so daß ich teilweise an einfachen Steigungen
gescheitert bin, weil kein Halt zu finden war. Jetzt ist alles in
Grün explodiert und es geht sich leicht und frisch durch diesen Wald
am Fluß. Der Tag wird heiß werden, aber hier unten im schattigen
Tal ist es noch angenehm kühl. Daß dafür die Mücken hier nicht
nur wohnen, sondern auch die Lufthoheit haben, war mir vorher klar.
Ein Extra-Klacks Mückenmittel muß irgendwie helfen.
Ich treffe auf
das nächste „Kuriosum“, einen markierten Wanderweg! Seit Wochen
nicht gesehen... Der weiß/gelb/weiße Weg führt in ca. vier oder
fünf Tagesetappen nach Valmiera, ich werde ihm grob folgen. Der
erste schöne Pausenplatz am Fluß ist dabei natürlich meiner, ich
sitze lange im Schatten und schaue mir an, wie das Wasser langsam von
rechts nach links vorbeizieht.
Eine halbe
Stunde weiter kommt mir die Welt plötzlich sehr bekannt vor, dieses
Stück des Weges bin ich bei besagter Winterwanderung schon mal
gelaufen. Leider habe ich die Fotoas davon nicht mehr auf dem
Telefon, eine Gegenüberstellung Winter/Sommer wäre jetzt schick.
Damals im kniehohen Schnee, jetzt eitel Sonnenschein. Besonders schön
ist für die nächsten Stunden, daß ich überhaupt nicht auf die
Karte gucken muß, ich kenne den Weg ja. Überhaupt hatte ich schon
vorgestern in Sigulda das Gefühl, daß ich irgendwo anknüpfe, daß
mir das hier alles nicht fremd ist, daß ich mich hier ein Stück
weit auskenne. Nach 5 Wochen unterwegs im Ungewissen fühlt es sich
sehr entspannt an, eine ungefähre Vorstellung davon zu haben, was
voraus auf dich wartet.
In meinem Fall
natürlich wartet natürlich die nächste Pause auf der Zeltwiese
Berzi, eingerichtet für die Kanutouristen, mit Gapahuks und
Picknicktischen, Flußblick und sehr schickem Plumpsklo. Die kleine
Quelle drüben im Wald, die ich mir als Wassernachschub gemerkt
hatte, ist natürlich trocken. Dafür hat es die letzten Wochen
einfach zu wenig geregnet.
Die Wege der
nächsten Stunden sind einfach klasse. Kleine bis mittlere
Trampelpfade verbinden die einsamen Höfe, die hier unten am Fluß
liegen. In manchen wird nur gewohnt, in manchen gedeihen Schafe,
manche bekomme ich nur aus der Entfernung zu sehen.
Aber ich
merke, daß sich der Tag zieht. Ich hacke nicht mehr wie sonst mit 5
oder 6 km/h über irgendwelche Feldwege, sondern ich schlängele und
bummele und genieße mit vielleicht 3 oder 4 km/h den Fluß entlang.
Aus den eigentlich gedachten 22km werden am Ende 27km für heute,
also wird es spät. Ich habe mich spontan für ein Hotel in Līgatne
entschieden. Ich hätte locker auch irgendwo am Fluß zelten können,
aber ich hatte Bock auf ein Bett. Also biege ich etwas verfrüht vom
Fluß ab und arbeite mich langsam die Hänge hoch.
Oben in
Līgatne fühlt sich die
Welt fast an wie auf einem Gebirgspaß, links liegt mein Hotel mit
angeschlossenem Kletterpark. Es gibt ein Café, das von vorne auf den
ersten Blick aussieht wie ein Container, sich dann aber Ewigkeiten
weiter nach hinten in die nächsten Gebäude erstreckt. Eine aus- und
umgebaute Fabrik, Eventlocation und Galerie in einem, mit viel Kunst
und Platz für Gäste. Ich wandere immer wieder staunend durch dieses
Haus und die vollkommen unerwarteten Räume, plündere den kleinen
Getränkekühlschrank auf dem Flur und bin insgesamt vollkommen high
von diesem Tag.
Alles ist
anders als bisher, und es ist super. Ich freue mich tierisch darauf,
die nächsten Tage durch diese Landschaft zu wandern.
Ach Schatz, wie immer ist es ein Genuss, Dich virtuell zu begleiten.
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