Dienstag,
13.06.2023
Morgens 10°, Nachmittags 24°; sonnig und klar
9h
mit Pausen; 6h reine Laufzeit
29km
Mālpils nach
Sigulda
Entspannter
Tag, 24km bis nach Sigulda. Morgen ein Tag Pause, also beste
Aussichten. So der Stand zum Start des Tages. Die Überschrift lässt
natürlich schon vermuten, daß es anders kommen wird.
Mālpils
liegt schnell hinter mir. Nach ein paar Plattenbauten und der
Wakeboard-Anlage kommen nur noch ein paar vereinzelte Häuser. Nicht
mal eine knappe Stunde später stehe ich schon wieder auf freiem Feld
und sehe kein einziges Haus. Frühstückspause mit fermentierten
Gurken; hab ich noch nie probiert, quasi nochmal eine Stufe heftiger
als saure Gurken. Kann man machen, aber irgendwie hätte ich das jetzt gerne mit 4-8 Schnäpsen garniert. Wann war ich eigentlich das
letzte Mal betrunken? Keine Ahnung, wie lange das her sein mag.
Vielleicht in Daugavpils, als ich zum Abendessen ganze zwei Bier
hatte? Viele Perspektiven verändern sich von ganz alleine auf dieser
Reise...
Der
ehemalige Flugplatz von Mālpils muß der Karte nach irgendwo da
drüben auf dem Feld liegen, aber da ist alles genauso zugewuchert
und überwachsen, wie ich es von Lettland inzwischen gewöhnt bin.
Aber irgendwie auch verständlich. Hier ist ja niemand. Wer zur Hölle
soll denn die ganzen Wiesen hier mähen und welche Tiere sollten denn
diese ganzen Berge von Heu jemals fressen?
Wie
auf Kommando treffe ich eine freundliche Kuhherde, die neugierig zur
Begrüssung rüberkommt. Aber die Damen sind noch nicht mal damit
fertig, ihre eigene Weide abzufressen. Die Kühe und ich gucken uns
ein bißchen neugierig an, aber es bleibt bei einem respektvollen
Abstand. Auch ok, ein kleiner Teil von mir hätte zwar gerne
wenigstens einmal über die Hand geleckt bekommen, aber
andererseits... Wie hätte ich diese Schmiere heute jemals wieder
abwaschen sollen?
Eine
Stunde später mache ich Mittagspause im Schatten eines Baumes, die
sitzende Pausenhaltung rutscht mal wieder in die halb liegende
Position ab („Ach, ich mach mal kurz die Augen zu...“). Hier wäre
übrigens ein guter Platz gewesen, sich vielleicht mal die Route der
nächsten Kilometer auf der Karte anzusehen, aber ich wollte ja
dösen. Und so kommt, was kommen mußte.
Der
daheim ausgedachte Weg existiert nicht, ich hätte es auf der Karte
ahnen können, hatte mich aber von Google Maps verleiten lassen. Dort
sind fleißig Wege eingezeichnet, die es aber eigentlich gar nicht
gibt. Und die eingezeichnete Brücke über den breiten Wassergraben
schon gleich gar nicht. Nicht, daß es sich gelohnt hätte, hier
irgendwie durchzuwaten: Am anderen Ufer sehe ich nur
undurchdringliches Dickicht.
Aber
ich war nicht ganz doof und hatte mir schon sicherheitshalber eine
Alternative zurechtgelegt. Eine halbe Stunde weiter geht nochmal ein
Stichweg in die richtige Richtung, vielleicht kann man da... Kann man
nicht. Der Weg existiert immerhin, hat sogar eine Brücke, endet dann
aber unvermittelt auf einem Feld. Weil der Weg halt nur dazu da ist,
daß der Bauer mit dem Traktor auf dieses Feld kommt und nicht, damit
ich hier quer durch Lettland laufen kann. Es gibt noch eine
Alternative zur Alternative, aber je näher ich dieser komme, umso
weniger Hoffnung habe ich. Und tatsächlich entpuppt sich auch dieser
Versuch als unfreiwilliges Ende vor einem zugewuchertem Weg mit
brusthohen Pflanzen. Hier werde ich mich bestimmt nicht 3km mit
meinem Rucksack durchkämpfen.
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Yup, das hier wäre Ihr Weg gewesen...
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Es
ist einer der bitteren Momente, in denen ich mir die Niederlage
eingestehen muß. Also drehe ich um, laufe den gleichen Weg zurück
und kann immerhin an dem gleichen schönen Pausenplatz nochmal Pause
machen, an dem ich vor 2 Stunden schon gerastet habe. 2h und 5km
Umweg, na herzlichen Dank. Ich hab's ja verstanden, Lettland. Hier
ist es so leer, daß es einfach kein verknüpftes Wegenetz gibt. Es
gibt die kleinen Landstraßen, die zu noch kleineren Schotterstraßen
werden, von denen kleine Stichwege zu den einzelnen Höfen abgehen.
Niemand braucht die Verbindung dieser einzelnen Äste. Außer mir
vielleicht. Ich rechne mir aus, daß diese Niederlage bedeutet, daß
ich die letzten 14km dieses Tages auf der Straße laufen muß (uns
diesmal eine richtige Straße, mit Verkehr). Scheiße.
Als
ich über den letzten Hügel auf die Straße zulaufe, kann ich in
vielleicht einem Kilometer einen kleinen weißen Bus von links nach
rechts durchs Bild fahren sehen. Es ist der einzige Bus nach Sigulda,
der heute Nachmittag fährt. Ich gebe an dieser Stelle zu, daß meine
Laune so tief gesunken war, daß ich heute in diesen Bus eingestiegen
wäre. Aber er fährt vor meinen Augen durch das Panorama der sanften
Wiesen, wie in einem Werbefilm. Der nächste Bus geht in 5 Stunden.
Aber vielleicht besser so.
Zum
ersten Mal seit Langem setze ich die Kopfhörer auf und höre Musik.
Die letzten 14km sind hart verdientes Brot, mit viel Verkehr auf der
Straße und Vollhorsten, die zum Überholen ansetzen, obwohl die
genau sehen müssten, daß ich da doch auch noch auf der Straße bin.
Ich weiß nicht, wie oft ich auf den Randstreifen oder in den
Straßengraben ausweiche, aber irgendwann ist es geschafft. Knapp 3h
Landstraße haben mich auf jeden Fall auch geschafft.
Mein
Apartment für heute Abend liegt Gott sei Dank gleich am Ortseingang.
Die Vermieterin fährt im Jaguar vor und guckt mich etwas mitleidig
an. Ohne Auto hier? Ja, in der Tat...
Nach
der Dusche schaffe ich es gerade noch so bis in den nächsten Laden
und falle dann aufs Sofa. Gott sei Dank mache ich morgen einen
Pausentag hier. Das war heute einfach nicht mein Tag.
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