Dienstag, 20. Juni 2023

Tag 26: Dreimal an der eigenen Planung gescheitert.

Dienstag, 13.06.2023
Morgens 10°, Nachmittags 24°; sonnig und klar
9h mit Pausen; 6h reine Laufzeit
29km
Mālpils nach Sigulda

Entspannter Tag, 24km bis nach Sigulda. Morgen ein Tag Pause, also beste Aussichten. So der Stand zum Start des Tages. Die Überschrift lässt natürlich schon vermuten, daß es anders kommen wird.


Mālpils liegt schnell hinter mir. Nach ein paar Plattenbauten und der Wakeboard-Anlage kommen nur noch ein paar vereinzelte Häuser. Nicht mal eine knappe Stunde später stehe ich schon wieder auf freiem Feld und sehe kein einziges Haus. Frühstückspause mit fermentierten Gurken; hab ich noch nie probiert, quasi nochmal eine Stufe heftiger als saure Gurken. Kann man machen, aber irgendwie hätte ich das jetzt gerne mit 4-8 Schnäpsen garniert. Wann war ich eigentlich das letzte Mal betrunken? Keine Ahnung, wie lange das her sein mag. Vielleicht in Daugavpils, als ich zum Abendessen ganze zwei Bier hatte? Viele Perspektiven verändern sich von ganz alleine auf dieser Reise...


Der ehemalige Flugplatz von Mālpils muß der Karte nach irgendwo da drüben auf dem Feld liegen, aber da ist alles genauso zugewuchert und überwachsen, wie ich es von Lettland inzwischen gewöhnt bin. Aber irgendwie auch verständlich. Hier ist ja niemand. Wer zur Hölle soll denn die ganzen Wiesen hier mähen und welche Tiere sollten denn diese ganzen Berge von Heu jemals fressen?

Wie auf Kommando treffe ich eine freundliche Kuhherde, die neugierig zur Begrüssung rüberkommt. Aber die Damen sind noch nicht mal damit fertig, ihre eigene Weide abzufressen. Die Kühe und ich gucken uns ein bißchen neugierig an, aber es bleibt bei einem respektvollen Abstand. Auch ok, ein kleiner Teil von mir hätte zwar gerne wenigstens einmal über die Hand geleckt bekommen, aber andererseits... Wie hätte ich diese Schmiere heute jemals wieder abwaschen sollen?


Eine Stunde später mache ich Mittagspause im Schatten eines Baumes, die sitzende Pausenhaltung rutscht mal wieder in die halb liegende Position ab („Ach, ich mach mal kurz die Augen zu...“). Hier wäre übrigens ein guter Platz gewesen, sich vielleicht mal die Route der nächsten Kilometer auf der Karte anzusehen, aber ich wollte ja dösen. Und so kommt, was kommen mußte.

Der daheim ausgedachte Weg existiert nicht, ich hätte es auf der Karte ahnen können, hatte mich aber von Google Maps verleiten lassen. Dort sind fleißig Wege eingezeichnet, die es aber eigentlich gar nicht gibt. Und die eingezeichnete Brücke über den breiten Wassergraben schon gleich gar nicht. Nicht, daß es sich gelohnt hätte, hier irgendwie durchzuwaten: Am anderen Ufer sehe ich nur undurchdringliches Dickicht.

Aber ich war nicht ganz doof und hatte mir schon sicherheitshalber eine Alternative zurechtgelegt. Eine halbe Stunde weiter geht nochmal ein Stichweg in die richtige Richtung, vielleicht kann man da... Kann man nicht. Der Weg existiert immerhin, hat sogar eine Brücke, endet dann aber unvermittelt auf einem Feld. Weil der Weg halt nur dazu da ist, daß der Bauer mit dem Traktor auf dieses Feld kommt und nicht, damit ich hier quer durch Lettland laufen kann. Es gibt noch eine Alternative zur Alternative, aber je näher ich dieser komme, umso weniger Hoffnung habe ich. Und tatsächlich entpuppt sich auch dieser Versuch als unfreiwilliges Ende vor einem zugewuchertem Weg mit brusthohen Pflanzen. Hier werde ich mich bestimmt nicht 3km mit meinem Rucksack durchkämpfen.

Yup, das hier wäre Ihr Weg gewesen...
Es ist einer der bitteren Momente, in denen ich mir die Niederlage eingestehen muß. Also drehe ich um, laufe den gleichen Weg zurück und kann immerhin an dem gleichen schönen Pausenplatz nochmal Pause machen, an dem ich vor 2 Stunden schon gerastet habe. 2h und 5km Umweg, na herzlichen Dank. Ich hab's ja verstanden, Lettland. Hier ist es so leer, daß es einfach kein verknüpftes Wegenetz gibt. Es gibt die kleinen Landstraßen, die zu noch kleineren Schotterstraßen werden, von denen kleine Stichwege zu den einzelnen Höfen abgehen. Niemand braucht die Verbindung dieser einzelnen Äste. Außer mir vielleicht. Ich rechne mir aus, daß diese Niederlage bedeutet, daß ich die letzten 14km dieses Tages auf der Straße laufen muß (uns diesmal eine richtige Straße, mit Verkehr). Scheiße.

Als ich über den letzten Hügel auf die Straße zulaufe, kann ich in vielleicht einem Kilometer einen kleinen weißen Bus von links nach rechts durchs Bild fahren sehen. Es ist der einzige Bus nach Sigulda, der heute Nachmittag fährt. Ich gebe an dieser Stelle zu, daß meine Laune so tief gesunken war, daß ich heute in diesen Bus eingestiegen wäre. Aber er fährt vor meinen Augen durch das Panorama der sanften Wiesen, wie in einem Werbefilm. Der nächste Bus geht in 5 Stunden. Aber vielleicht besser so.

Zum ersten Mal seit Langem setze ich die Kopfhörer auf und höre Musik. Die letzten 14km sind hart verdientes Brot, mit viel Verkehr auf der Straße und Vollhorsten, die zum Überholen ansetzen, obwohl die genau sehen müssten, daß ich da doch auch noch auf der Straße bin. Ich weiß nicht, wie oft ich auf den Randstreifen oder in den Straßengraben ausweiche, aber irgendwann ist es geschafft. Knapp 3h Landstraße haben mich auf jeden Fall auch geschafft.

Mein Apartment für heute Abend liegt Gott sei Dank gleich am Ortseingang. Die Vermieterin fährt im Jaguar vor und guckt mich etwas mitleidig an. Ohne Auto hier? Ja, in der Tat...

Nach der Dusche schaffe ich es gerade noch so bis in den nächsten Laden und falle dann aufs Sofa. Gott sei Dank mache ich morgen einen Pausentag hier. Das war heute einfach nicht mein Tag.

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