Mittwoch, 14. Juni 2023

Tag 21: Geradeaus ist echt doof, aber wenigstens zielführend.

Mittwoch, 07.06.2023
Morgens 8°, Nachmittags 24°; sehr sonnig
9h mit Pausen, 6,5h reine Laufzeit
31km
Zasa nach Jēkabpils

Natürlich habe ich mir den Park gestern Abend nicht mehr angeschaut. Aus dem kleinen Nickerchen am frühen Abend wurde ein gemächliches Entschlummern in einem riesigen bequemen Bett, frisch geduscht, frisch frisiert. Dagegen sollte man nicht ankämpfen.


Hinein in den nächsten warmen Tag. Ich freue mich sofort nach dem Loslaufen über Sonne und Wind auf meinen Armen. Das Dorf Zasa habe ich schnell hinter mir gelassen, danach noch ein paar einzelne Häuser, eine kleine Pause am Waldrand und schon wieder laufe ich über kilometerlange gerade Forststraßen. Zusammen mit dem Schwarm Bremsen, an den ich mich noch nicht gewöhnen konnte. Mein Endgegner heute ist aber eine 6,5km lange gerade Forststraße in Richtung Nord-Nordwest; ich hab mir gestern Abend schon ausgerechnet, daß mich die Sonne genau von hinten treffen wird und ich mit Sicherheit kein Stück Schatten abbekommen werde.

In der letzten Kurze vor den 6,5km geradeaus mache ich nochmal Pause und setze mich in den Schatten einer Birke, die schwirrenden Bremsen verziehen sich und ich genieße die Ruhe und die Kühle des Waldes, bevor ich mich an die nächste Nervenprüfung mache. Ein Apfel, ein bißchen Süßkram, eine Scheibe Brot und soviel Wasser, wie ich lustig bin. Ich bin heute früh mit vollen Flaschen plus Zusatzgetränken gestartet: Ich glaube kaum, daß ich in diesem Wald irgendwo brauchbares Wasser finden werde.

Ich lege nochmal Sonnencreme nach, und am Ende kriege die nächsten eineinhalb Stunden doch irgendwie gelaufen, danach eine 90°-Kurve nach rechts, eine kleine 45°-Kurve nach links und nochmal ein paar Kilometer geradeaus. Es ist leider genauso langweilig, wie es in der Beschreibung klingt.

An der nächsten Weggabelung stoße ich überraschend auf eine schöne große Picknickhütte. Die Staubwolken der ab und zu vorbei fahrenden Autos und Trucks haben alles mit einer feinen Schicht von weißem Staub überzogen. Ich habe zwar erstvor Kurzem Pause gemacht, aber mal wieder so richtig zivilisiert auf einer Bank zu sitzen, kann ich mir nicht entgehen lassen. Also werfe ich die Stiefel ab (weil ich es mir wert bin) und lese ein bißchen, während ich entspannt mit den Zehen wackeln kann.

Zwei Kilometer weiter überholt mich ein Forstbeamter im Pickup, hält im Schatten des nächsten Baumes an und will plaudern. Wir sind natürlich Lost in Translation, Lettisch/Russisch gegen Deutsch/Englisch, ich kann ihm zumindest meine Route und den großen Rucksack erklären, ihm auf seine Nachfrage hin versichern, daß meine Füße fit sind und wir ziehen beide sehr zufrieden mit den Neuigkeiten weiter unserer Wege.


Plötzlich öffnet sich der Wald und die ersten Häuser, Bauernhöfe und Felder erobern den Horizont. Die Nachmittagssonne brennt sich stechend in meine Arme, während ich mich auf die letzten Kilometer nach Jēkabpils hinein mache. 21.500 Einwohner, an der Daugava gelegen, die einzige größere Stadt zwischen Riga und Daugavpils. Ich darf heute den schönen Eingang in die Stadt nehmen, durch die Siedlungen mit den neuen und alten Einfamilienhäusern. Mein Apartment liegt in einem sowjetischen Wohnblock im südlichen Teil der Stadt, vor der Tür spielen Kinder, Autos sind wild und chaotisch auf dem sandigen Hof hinter dem Haus geparkt, im Treppenhaus werde ich argwöhnisch beäugt und alles in allem fühlt sich das richtig gut an. 


Ich baue mein Zelt auf dem Balkon auf (immer noch naß von gestern früh...), höre dem rasselnden Bergarbeiterhusten des Balkonbewohners eine Etage tiefer zu, schaue aus dem Fenster auf bunte bröckelnde Betonfassaden, ergattere gegenüber im Laden Dillchips und Kefir für einen entspannten Abend und merke, daß ich wirklich alles habe, was ich brauche.

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