Donnerstag, 18.05.2023
Morgens 6°, Nachmittags 17°; teils
bedeckt, teils sonnig
8h
mit Pausen, 7h reine Laufzeit
35km
Trakai nach Vilnius
Zähne zusammenbeißen und los. Draußen ist es noch naßkalt, daß ich zum ersten Mal meinen Atem kondensieren sehen kann. Das kann ja heiter werden... Das naßkalte Wetter hat aber auch den positiven Nebeneffekt, daß ich in der ersten Stunde auf dem Weg durch Trakai kaum jemanden treffe. An der Seepromenade, sonst überlaufen mit Touristen, E-Scooter-Verleihern und Eisständen bin ich heute früh alleine. Ich schieße schnell das Pflichtfoto der Wasserburg Trakai aus dem 14. Jahrhundert -- besichtigt habe ich sie schon und das hier ist kein Reiseführer.
Die erste Stunde darf ich noch im Wald laufen, danach beginnt ein
stundenlanger Tanz mit Bahnlinien, Gewerbegebieten, Autobahnen,
Wohngebieten. Wo ist Platz für mich, wie komme ich da durch? In Lentvaris geht's ja noch: Ein bißchen Walzer mit der Straßenunterführung, ein wenig Rumba mit den kleinen Sandwegen im Wohngebiet.
Aber irgendwann rücken die Vororte von Vilnius unverkennbar in den Vordergrund. Baumärkte, Kleingärten, Garagenkomplexe, Wohnsilos, Füßgängerbrücken über Autobahnen. Die eigentliche Stadt betrete ich von ihrer besten Seite: Links von mir das Klärwerk, rechts die Recyclinganlage. Ein wahrhaft inspirierender Geruch und gleichzeitig der Beweis dafür, daß selbst ich bei der Planung am Kartentisch nicht immer alles bedenken kann.
Die Tour heute ist kein Spaß und ist rein technischer Natur. Muß halt sein, irgendwie muß ich ja in die Stadt reinkommen. Aber das Netz aus Autobahnen und unzugänglichen Orten rings um Vilnius herum ist wirklich schwer zu ertragen. Ich hatte relativ lange vorher recherchiert, wie man diesen Dschungel zu Fuß navigieren könnte, das klappt am Ende auch, auf schmalen Gehwegen neben sechsspurigen Straßen...
Aber vielleicht ist das Vilnius gegenüber auch unfair. Keine Stadt ist schön, wenn man sie durch die Hintertür betritt. Und natürlich hätte es auch einen schöneren Weg gegeben. Entspannt am Fluß entlang zum Beispiel, durch Parks, durchs Grüne. Dann wäre der Tag heute aber jenseits der 40km gelandet, das hatte ich mir wirklich nicht zugetraut. Also ziehe ich das hier jetzt durch. Auf mich wartet ein Apartment mit heißer Dusche und einem Balkon, um die Stiefel auszulüften.
Die Altstadt ist herausgeputzt und brummt vor Touristen, ganz anders als bei meinem letzten Besuch im vergangenen Winter. Jetzt sitzen überall Menschen in den Straßencafés, es wird gebummelt und die Sonne genossen. Ich bekomme erschreckenderweise Lust auf Stadturlaub, was mir sonst niemals freiwillig passiert. Aber erstmal stiefele da heute nur stur durch und weigere mich innerlich, in diese sowieso schon zu lange Etappe noch irgendwelches Sightseeing einzubauen. Vielleicht morgen, vielleicht auch gar nicht.
Ich entere mein Apartment, das zwar schön ist, aber in einer so krass gentrifizierten Umgebung liegt, daß ich mich fast schon wieder schäme. Der Iki an der Ecke hat noch ein paar Getränke und Snacks für mich, die Waschmaschine arbeitet sich an meinen Klamotten ab, ich falle rückwärts aufs Bett und bewege mich heute Abend nirgendwo mehr hin. Morgen ist Pausentag. Herrlich.
Die erste Etappe ist geschafft. 181km waren es bis hierher, und das war nur zum Eingewöhnen. Locker mehr als 1.000km liegen noch vor mir, aber die erste Woche war super. Ich fühle mich fit und habe Lust auf Weiterlaufen, ins leere Nordost-Litauen hinein. Das entspannte Herumlümmeln in Apartments wird bald wieder ein Ende haben, ein bißchen freue ich mich auch schon auf die nächsten Zeltnächte...
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